Die Liebe ist eine Insel
dunklen Falten des Umhangs.
Isabelle kommt zurück.
»Dieser Umhang ist das Kostüm, das Gérard Philipe 1958 trug. Und mit diesem Degen hat er Rodrigue gespielt. Ich habe gesehen, wie er ihn Chimène reichte, ›Willst du meinen Tod oder nicht?‹ … Er verlangte von ihr, sich zu entscheiden.«
Isabelle zieht sich an.
»Sie hätte sich rächen, ihn töten und die ganze Geschichte beenden können.«
»Welche Geschichte?«, fragt Marie.
»Hast du den Cid nicht gelesen?«
Isabelle zieht ein Exemplar aus einem Bücherstapel auf der Kommode. Sie reicht es ihr.
Sie öffnet die erste Schublade und nimmt eine Schachtel heraus. Darin Briefe, etwa zwanzig, zusammengebunden mit einem blauen Band.
»Mein Mann …«
Sie atmet den Duft der Umschläge ein, streicht über das Band.
»Ich wusste nicht, dass ich mit ihm glücklich war.«
Sie nimmt Maries Hände und streichelt sie, wie sie die Briefe gestreichelt hat.
»Drei Feen haben sich über deine Wiege gebeugt.«
»In meinem Wald gab es keine Feen«, sagt Marie leise.
Isabelle nimmt erneut ihre Hände.
»In allen Wäldern gibt es Feen, selbst in den dunkelsten.«
Sie berührt ihre Arme, die misshandelte Haut, die Kratzer.
»Die erste Fee hat dir das Talent gegeben, die zweite hat dir die Schönheit gegeben …«
»Und die dritte hat meinen Bruder ermordet«, sagt Marie und zieht jäh ihre Hand zurück.
Ein Schatten huscht über Isabelles Gesicht.
»Nein, Marie, die dritte Fee hat dir wunderbare Wege geöffnet, und das ist ein großes Geschenk.«
D ie Straßenreinigung verspritzt Wasser, das zwischen die Pflastersteine läuft, kostbare Ströme, die die durstigen Ratten gierig auflecken.
Odon geht die Treppe hinauf, küsst Isabelles Hände, so begrüßt er sie immer, das erste Mal war es Spaß, und dann ist es eine Gewohnheit geworden.
Er hat ihr Blumen mitgebracht.
»Alles Gute zum Geburtstag …«
»Der war am Montag.«
»Ja, aber am Montag bin ich nicht gekommen, und als ich angerufen habe, bist du nicht drangegangen.«
Sie drückt ihren Kopf gegen seine breite Brust.
Dann nimmt sie den Strauß und füllt eine Vase mit Wasser. Sie schneidet jeden Stiel an und stellt die Blumen eine nach der anderen hinein.
In der Küche trinken ein paar Schauspieler ihren Kaffee, mit wirren Haaren, sie haben eine zu kurze Nacht hinter sich.
Außer den Blumen hat Odon auch Croissants mitgebracht, er legt die Tüte zwischen die Kaffeeschalen. Blickt zum Fenster. Zerzauste Spatzen jagen die Fliegen in den Balkonpflanzen.
»Du schaust aber finster drein …«, sagt Isabelle und zieht Odon zum Licht.
»Die Nacht war kurz.«
Er geht ins Wohnzimmer zurück. Marie sitzt mit dem Rücken an der Wand, im Schneidersitz, unter einem der Fenster, ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien.
»Wie kommst du mit ihr aus?«, fragt er.
»Gut.«
Er geht zu der großen Leerstelle an der Wand. Ein hellerer Fleck, Schattenmotive.
»Hast du den Wandteppich verkauft?«
»Schon vor ein paar Tagen … Er war von Motten zerfressen, verstaubt, die Fäden waren lose, und man hat mir einen guten Preis geboten.«
»Ich hätte ihn dir abgekauft, wenn du mir was gesagt hättest.«
»Um ihn in deinem Kahn aufzuhängen? Deine Wände sind nicht stark genug, und die Feuchtigkeit schadet der Wolle.«
Sie fährt mit dem Finger über die Wand, folgt imaginären Linien.
»Alles ist da, die Vögel, die beiden großen Eichen, der Hund und das Kind, das vorausgeht.«
Sie geht ein Stück weiter.
»Hier die Kutsche, die vier Pferde, eines ist weiß, der Steinweg, der Springbrunnen und die von der Meute gestellte Hirschkuh.«
Sie starrt die Wand an. Er drückt sie an sich, spürt ihre zarten Schultern unter seinen Pranken.
»Ich werde morgen wiederkommen und dir Glühbirnen mitbringen. Die in der Küche sind zu schwach.«
»Sie sind stark genug.«
»Nein, das sind sie nicht.«
Sie entfernt sich.
»Ich bereite meine Reise nach Ramatuelle vor«, sagt sie.
»Erinnerst du dich, was Aragon geschrieben hat, als Gérard Philipe starb? ›Die Seinen haben ihn in den Himmel der letzten Ferien mitgenommen, nach Ramatuelle, ans Meer …‹«
Die Fortsetzung hat sie vergessen.
Odon hilft ihr.
»›… damit er für immer der Traum des Sandes und der Sonne sei, außerhalb der Nebel, und auf ewig der Beweis für die Jugend der Welt bleibe.‹«
Sie beenden den Satz gemeinsam, ihre Stimmen vereinen sich. Isabelles ist zarter, schwächer.
»›Und wer vorbeikommt, wird, solange es über seinem Grab
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