Die liebe Verwandtschaft
so.«
»Merkwürdig«, erwiderte ich. »Alle meine Freunde und Bekannten fahren ununterbrochen in der Welt herum – und mir hat noch niemand etwas mitgebracht.«
»Das stimmt nicht. Hast du nicht von Tante Ilka diesen hübschen grünen Pullover aus Dänemark bekommen, mit dem du immer den Wagen wäschst? Und außerdem: Wenn andere Leute keine Manieren haben, so heißt das noch nicht, dass wir keine haben müssen.«
»Warum eigentlich? Warum heißt es das nicht?«
Die beste Ehefrau von allen saß unterdessen am Bettrand und stellte eine Liste aller Personen zusammen, die Anspruch auf etwas Mitgebrachtes hatten: Felix Selig, Tante Ilka, die Eule Lipschitz, der Finanzminister, Jossele, der Milchmann, mein Freund Kurt, ihre Freundin Rebekka, Batscheba Rothschild, der entlassene Zitruspacker Sprotzek, Kitty Goldfinger, die Brüder Grossmann, Schultheiß, Podmanitzki, Mundek, Marie-Luise, Professor Großlockner, die Zieglers, Paltiel ben Saish. Ein Glück, dass Sulzbaum in New York war.
»Aber wie sollen wir das alles noch vor der Abfahrt erledigen?«, seufzte meine Frau ein übers andre Mal. »Wie, um Himmels willen, sollen wir das machen?«
Ich nahm die Liste an mich und unterzog sie einer scharfen Revision. Kitty Goldfinger, mit der wir seit Jahren nicht mehr verkehrten, wurde sofort gestrichen. Als Nächste kamen die Zieglers, die in einem entlegenen Kibbuz im Negev lebten und von unserer Reise wahrscheinlich nichts gehört hatten. Dann ging’s an die Freundinnen meiner Frau – aber sie kämpfte wie eine Löwin um jede von ihnen und beschwor mich, durch willkürliche Auswahl der Beschenkten keine ewigen Feindschaften zu provozieren. Der einzige Geschenkempfänger, auf den sie unter Umständen verzichten wollte, war Paltiel ben Saish: Sie wusste nicht, wer das war und konnte sich nicht erklären, warum sein Name auf der Liste stand.
Jetzt erhob sich die Frage, womit man diese gierige, auf Geschenke versessene Horde befriedigen sollte.
»Wir müssen«, proklamierte die Listenverfasserin, »für jeden etwas Individuelles finden. Eine Kleinigkeit, die er bestimmt noch nicht hat. Und der man die fremde Herkunft anmerkt. Und die teurer aussieht, als sie ist.«
»Richtig. Geschenke, die diese Bedingungen nicht erfüllen, haben keinen Wert. Dann bringen wir besser nichts mit.«
»Also gut. Was kaufen wir?«
Gemeinsam beugten wir uns über die Liste und gingen sie von Anfang an durch. Von Felix Selig wussten wir, dass er ein Sportfanatiker war und nie ein Fussballmatch versäumte; als Geschenke kamen somit in Betracht: ein Tennisschläger (12000 Lire), ein Faltboot (104000), ein Barhocker (21000 bis 62000), ein Pullover (520). Wir dachten lange nach, was seiner Wesensart am besten entspräche.
»Ich bin für den Pullover«, entschied ich. »Ein praktischer Gegenstand. Immer griffbereit. Wenn Felix verschwitzt vom Training kommt, wird er sehr froh sein, sofort in einen Pullover schlüpfen zu können.«
»Schön … damit wäre ein Anfang gemacht … alles Weitere morgen … beim Einkaufen…« Die letzten Worte hauchte meine Gattin schon halb im Schlaf, ich selbst hörte sie nur noch mit halbem Ohr.
Am lichten Morgen zogen wir los. Wir warfen uns auf die Warenhäuser, deren es in Genua viele gibt, erstanden als Erstes einen wunderschönen, gelben, schafwollenen, echt italienischen »Santi-Frutti«-Sportpullover für 490 Lire und strichen Felix Selig von der Liste.
»Aber wenn wir schon für ihn so ein Vermögen ausgeben – was bleibt dann für Tante Ilka?«, fragte meine Frau.
Wir verschoben die Lösung dieses Sonderproblems und kauften für unsere Hausgehilfin Rebekka, deren Vorliebe für schreiende Farben wir kannten, einen wunderschönen, gelben, schafwollenen … zwei Nummern kleiner … 450 Lire. Dann analysierten wir die Bedürfnisse der Eule Lipschitz. Was könnte wohl ein wenig Freude und Wärme in sein trübes Dasein bringen? Eine Schweizer Armbanduhr? Ein Radio? Eine Kamera? Sorgfältig schätzten wir Für und Wider gegeneinander ab, fassten neue Möglichkeiten ins Auge und fanden schließlich eine unverhoffte Lösung.
»Alle diese Dinge hat er wahrscheinlich schon. Aber man kann nie genug Pullover haben …«
Es wurde ein schwarzer und langärmeliger, der infolgedessen 580 Lire kostete (und die Problematik des Geschenks für Tante Ilka noch erhöhte). Dafür musste sich mein Freund Kurt mit einem ärmellosen Pullunder begnügen, was für ihn als Hundebesitzer nur von Vorteil war. Wenigstens
Weitere Kostenlose Bücher