Die Liebe verzeiht alles
der ihn zu schätzen weiß, dachte sie noch deprimierter und seufzte. Sie schwang sich aus dem Auto und nahm ihre Handtasche vom Rücksitz. Dann sammelte sie die leeren Trinkbecher und Verpackungen ein, die dort herumlagen. Bree hatte einfach alles nach hinten geworfen und die Plastiktüte ignoriert, die Lilah ihr gegeben hatte.
Lilah warf die volle Tüte energisch in den Abfalleimer neben dem Eingang.
Ja, das Wegräumen beherrschte sie vortrefflich. In den zwölf Jahren in Los Angeles hatte sie ihren Lebensunterhalt mit Kellnern verdient, während sie – bis jetzt erfolglos – an ihrem Durchbruch als Schauspielerin gearbeitet hatte. Immer wieder war sie zu Castings gegangen, hatte aber bestenfalls winzige Nebenrollen bekommen.
Eigentlich müsste sie hervorragend auf die Mutterrolle vorbereitet sein. Schließlich war sie es gewohnt, zurückgewiesen zu werden und sich unzulänglich zu fühlen. Aber verglichen mit den letzten vier Wochen mit Bree waren die vergangenen Jahre in Los Angeles ein Honiglecken gewesen.
Lilah strich sich über das lange blonde Haar, das seit sechs Monaten keinen Friseur mehr gesehen hatte. Müde folgte sie ihrem Schützling nach drinnen und staunte nicht schlecht über das reichhaltige Angebot.
„Hallo.“ Eine junge Lakota-Indianerin, die auf einem Hocker hinter dem Tresen saß, begrüßte sie freundlich. „Brauchen Sie Benzin?“
„Nein, danke.“ Lilah beobachtete, wie Bree in der offenbar einzigen Damentoilette verschwand, und blieb am Ladentisch stehen.
„Die Backwaren sind frisch, falls Sie Hunger haben. Oder mögen Sie vielleicht einen Iced Coffee Drink?“
Iced Coffee Drinks vor den Kleinstadttoren von Kalamoose, dachte Lilah und hätte das erste Mal seit Wochen fast herzhaft gelacht. Hier in dieser verschlafenen Gegend hatte sich seit Jahren nichts verändert, wie ihr bei den unregelmäßigen Besuchen nicht entgangen war. Wer immer diese Tankstelle eröffnet hatte, musste verrückt sein. „Draußen heißt es, Sie hätten Eiswasser?“
„Das finden Sie dort hinten“, sagte die Angestellte lächelnd und zeigte in die Richtung. „Die Becher sind gleich neben dem Behälter. Bedienen Sie sich.“
Lilah schlenderte den Gang entlang und schenkte sich gerade einen Becher ein, als Bree wieder auf der Bildfläche erschien. „Haben sie hier Hotdogs?“
„Ich glaube nicht.“
„Dann will ich eine Cola.“
„Auch daraus wird leider nichts. Du hast auf unserer Reise genug Zucker und Koffein bekommen“, erklärte sie bestimmt und deutete zu dem Wasserbehälter, als Bree protestieren wollte. „Trink so viel Eiswasser, wie du möchtest, aber fang keinen Streit mit mir an. Meine Schwester Nettie ist eine fabelhafte Köchin. Du kannst meinetwegen nachher bei ihr essen, bis du platzt. Doch bis zu unserer Ankunft gibt es nichts mehr.“
„Ich sehe mich mal bei den Zeitschriften um.“ Gleichgültig zuckte die Elfjährige die Schultern, schob die Hände in die Taschen der tief sitzenden Jeans und ging davon.
Lilah seufzte, leerte ihren Becher und verschwand kurz in der Damentoilette. Bei ihrer Rückkehr traute sie ihren Augen nicht. Bree stand vor einem Regal mit Süßigkeiten und hob gerade ihr T-Shirt, um einen Schokoriegel im Hosenbund zu verstecken. Sofort stürzte sie auf das Mädchen zu und nahm ihn ihr ab.
„Das kann doch nicht wahr sein! Jetzt bist du auch noch eine Ladendiebin! Was ist bloß mit dir los?“ Reg dich ab, ermahnte sie sich im nächsten Moment, das Mädchen ist erst elf und hat vor einem Monat ihre Mutter verloren. „Bree“, sagte sie dann ruhiger und hielt deren rebellischem Blick stand. „Grace … deine Mom … war die ehrlichste Frau, die ich jemals gekannt habe. Sie wollte immer nur das Beste für dich. Wie würde sie sich wohl fühlen, wenn sie beobachten könnte, dass du stiehlst?“
Bree sah Lilah herausfordernd an. „Weniger schlecht, als wenn sie wüsste, dass du es mir nicht kaufen willst.“
Was sollte Lilah jetzt tun? Sie hatte keinen Job mehr und musste ihr Geld sorgfältig einteilen. Gestern hatte sie die Extras neben den normalen Mahlzeiten auf drei begrenzt. Heute hatte sie sie auf sechs erhöht, da Bree erklärt hatte, sie benötige wegen ihres Wachstumsschubs zusätzliche Kalorien.
„Sieh mal, Bree“, begann sie und krallte die Finger um den Schokoriegel. „Mir ist klar, dass du gerade eine sehr schwere Zeit durchlebst. Ich war genauso alt wie du, als meine Mutter starb. Es ist schrecklich, und daran wird sich
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