Die Liebe zu Rosen mit Dornen
die geschlossene Tür zu und bekomme eine dumpfe Antwort.
Ich ziehe meinen Pulli an und gehe hinaus. Als ich die Luft und den Duft von Gras, Rosen und Pollen rieche, geht es mir gleich besser. Ich bin froh und dankbar, dass ich keine Allergien habe.
Mein Vorort ist geprägt von schattigen Bäumen unterschiedlichster GröÃe, so weit das Auge reicht, was nicht sehr weit ist, angesichts der hohen Häuser, die mir die Sicht versperren. Die Gewächshausluft ist weich und schwül, tropisch geradezu, verglichen mit der ansonsten eher trockenen Luft in Kalifornien. Ich nehme meinen Hocker, knipse mein Arbeitslicht an und begutachte die Plastikbecher mit den Staubbeuteln, die ich vor einigen Tagen herausgezupft habe. Es hat sich Blütenstaub gebildet, der aussieht wie orangefarbener Puder.
Inzwischen sind auch die Narben an der Mutterpflanze klebrig und bereit, den Blütenstaub aufzunehmen. Ich übertrage den Blütenstaub auf die Narbe. Jetzt kann ich nur noch warten und hoffen.
Ich gehe und sehe mir die Pflanzen an, die ich zum Veredeln auf Unterlagen gepfropft habe. Das sind die Rosen, die erfolgreich gekreuzt wurden und die ich jetzt vermehre. Vermehren ist etwas anderes als Züchten. Es bedeutet, mehr Exemplare der Rose zu erschaffen, die man behalten möchte. Zum Vermehren könnte man auch einen fünfzehn Zentimeter langen Stamm im Fünfundvierzig-Grad-Winkel abschneiden und in Stecklingspulver stippen. Dann steckt man ihn in Erde und hofft, dass er Wurzeln schlägt.
Etwa fünfundzwanzig Pflanzen stehen da auf Holzbänken in ihren Plastiktöpfen. Alle treiben Knospen. Auch bei diesen bleibt mir nur abzuwarten. Fast überall im Land blühen die Rosen erst ab Juni, in Kalifornien dagegen fangen sie schon im April an.
Da fällt mir Byrons Frage wieder ein. Ich bin bereit, ihm meine Antwort zu schicken. Am besten geht er zwei Generationen mütterlicherseits zurück und nimmt die Mutter, die er damals hatte, statt der Mutter, die er jetzt verwendet. Glaube ich zumindest.
Die Gewächshaustür geht auf, und ich schrecke auf. Ich habe niemanden kommen hören. Dara steht da und sieht mich mit sorgenvoller Miene an. »Was ist denn bloà passiert? Dr. OâMalley kam und hat die Klasse übernommen. Er wollte nichts sagen. Nur dass es dir und deiner Familie âºphysischâ¹ so weit gut geht.«
»Tut es.« Ich schreibe G101 auf ein Papierschildchen und binde es um die neue Rose, die ich eben bestäubt habe. »Es geht um meine Nichte. Sie ist hier.«
»Riley ist hier?« Dara weià alles über Riley und Becky. Sie schüttelt den Kopf. »Ist deine Schwester auch da?«
»Becky nicht. Becky ist unterwegs nach Hongkong, offenbar für ihren Job.« Ich stelle die Rose wieder zurück. Sie bekommt den besten Platz. »Sie hat Riley zu mir geschickt.«
»Das kann sie doch nicht machen.« Daras Stimme wird lauter. »Sie kann nicht einfach ihr Kind hier abgeben und erwarten, dass du dich um alles kümmerst.«
»Dafür müsste meine Schwester so etwas Ãhnliches wie Vernunft aufbringen. Aber das kann man von Becky nicht erwarten.« Ich stehe auf. »Lass uns reingehen. Du kannst sie kennenlernen. Sie liebt Kunst, hasst aber den Kunstunterricht.«
»Ich werde sie umstimmen.« Dara folgt mir ins Haus. »Deine Schüler waren übrigens ganz pflegeleicht, falls es dich interessiert.«
»Natürlich waren sie das. Sie sind nie schwierig. Nur faul.«
Dara lacht. »Du klingst, als wärst du schon ziemlich lange dabei.«
»Du weiÃt, aus meinem Mund spricht die reine Wahrheit. Ich bin das Orakel von St. Markâs.« Ich nehme ein Minutensteak aus dem Kühlfach, habe plötzlich einen Bärenhunger. »Möchtest du auch?«
»Nein, danke. Du solltest lieber mageres Fleisch essen.«
»So sagt man.« Ich hole eine Pfanne hervor.
»Setz dich doch. Ich koch dir was.«
»Geht schon.« Dara ist lieb, aber manchmal etwas dominant. Wie meine Mutter. Wenn Dara allerdings nicht wäre, würde meine Mutter sicher erheblich öfter mitten in der Nacht hierherfliegen, weil sie fürchtet, dass ich krank bin oder es mir einfach nicht gut geht.
»Aber es gibt noch was Neues.« Dara setzt sich auf und strahlt. »Dr. OâMalley hat einen Chemielehrer eingestellt.«
»Wurde auch Zeit.« Seit einer halben Ewigkeit prüfen wir Bewerber. Schon seit dem
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