Die Liebe zu Rosen mit Dornen
benutzt. Ich klappe es auf. Ich erwarte Darstellungen des Todes, von Totenköpfen, gekreuzten Knochen und Giftflaschen. Stattdessen sehe ich tanzende Cupcakes. Glupschäugige Comictiere. Und Blumen â Gänseblümchen, ein paar Rosen. Sehr gut.
Das Letzte ist eine Federzeichnung, ein Porträt. Ich erkenne Becky sofort. Sie ist von oben gezeichnet. Sie liegt auf einem Kissen und schläft, mit offenem Mund, die langen Haare ausgebreitet, als befände sie sich unter Wasser. Ihr Gesicht ist von feinen Falten durchzogen, und sie runzelt die Stirn. Aus ihrem Mund läuft Speichel auf das Kissen. Ohne den Speichel und das Kissen hätte ich angenommen, dass sie ertrinkt. Eins muss man Riley lassen. Realistisch ist es.
Riley steht an den Türrahmen gelehnt. »Wühlst du in meinen Sachen rum?«
»Nur in dem hier.« Ich klappe das Skizzenbuch zu. Darf man sich denn Kunst nicht ansehen? Ist es so, als würde ich ihr Tagebuch lesen? Ich muss Dara fragen. »Lass es nicht offen rumliegen, wenn es keiner sehen darf.«
Sie schnaubt und schlurft heran, um ihren Rucksack zu holen. Sie gehört zu diesen Kindern, die latschen, den Blick starr auf den Boden gerichtet, als hielte sie nach Landminen Ausschau.
Ich versuche es mit einem Kompliment. »Du bist eine begabte Zeichnerin, Riley. Das hast du bestimmt von deiner Oma.«
Sie reibt sich Schlaf aus den Augen und verschmiert dabei den Eyeliner.
Ich schnalze mit der Zunge. »Hast du es unter der Dusche nicht abgewaschen?«
»Ich brauche Reinigungstücher.« Sie wischt ihren Finger an der Jogginghose ab. »Keine Sorge. Das Zeug ist hypoallergen.«
»Eigentlich mache ich mir eher Sorgen um die Wimperntusche auf meinen Kissenbezügen.« Ich fische einen Topf mit Cold Cream aus meiner Kommode und halte ihn ihr hin.
Sie starrt ihn an, als wäre er eine Klapperschlange.
Ich stelle den kleinen Topf auf die Kommode. »St. Markâs erlaubt ausschlieÃlich Lipgloss. Was ich nur unterstützen kann.«
»Mir gefällt es eben, mich auszudrücken. Was du wahrscheinlich noch nie probiert hast.« Riley nimmt die Cold Cream.
»Alles, was ich brauche, ist hier drin.« Ich tippe an meine Stirn. »Von auÃen nicht zu sehen.«
»Mein äuÃeres Erscheinungsbild ist eine Manifestation meiner Persönlichkeit.« Riley steuert auf das Badezimmer zu. »Ich dachte, du mit deinen Rosen, du könntest das verstehen.«
Ich bin direkt beeindruckt von der Verwendung des Wortes »Manifestation«. »Ich glaube, ich verstehe es wirklich. Aber Rosen können nichts dafür, wie sie aussehen.«
»Weil du sie aussehen lässt, wie du sie haben willst.« Sie schlieÃt die Tür.
Ich gehe nach drauÃen, will das Gewächshaus abschlieÃen. Die Luft wird kühl. Eine Mücke summt an meinem Gesicht. Auf dem Weg zum Gewächshaus knirschen meine Clogs auf dem Kies, und dennoch höre ich ein Geräusch bei den Rosen. Zu meiner Ãberraschung entdecke ich Brad im Garten, der auf Händen und Knien liegt und Unkraut jätet. Noch mehr überrascht mich, wie viel Unkraut ich übersehen habe. »Hey, Miss Garner.« Er dagegen ist keineswegs überrascht, mich zu sehen. Er wirft seine weichen Haare aus dem Gesicht. Der Junge schwitzt nicht mal, obwohl seine Schubkarre voll ist.
»Brad. Ich wusste nicht, dass du heute kommst. Warst du vorhin schon hier? Ich war doch auch drauÃen.« Wie hatte ich ihn übersehen können? Hockend hinter Büschen?
»Bin gerade erst gekommen.«
Ich nehme es hin. »Hast du schon Antwort von irgendeinem College bekommen?« Brad spielt Football und Baseball, aber unsere Schule ist so klein, dass sich kein Scout die Mühe macht. Stattdessen habe ich ihm geraten, sich um ein Wissenschaftsstipendium zu bemühen oder eins für Veteranen oder für Kinder aus Familien, in denen noch nie jemand auf dem College war, oder was mir sonst so einfällt.
Er schüttelt den Kopf. »Noch nicht. Miss Garner? Ich kann morgen nicht. Muss zum Training. Deshalb bin ich heute Abend hier.«
»Aber ich habe morgen Dialyse. Wer gieÃt dann die Blumen im Gewächshaus?« Morgen sind sie mit dem Wässern dran.
Die meisten Leute würden vorschlagen, sie schon heute zu gieÃen, aber Brad weià Bescheid. Die Rosen brauchen Wasser, wenn sie Wasser brauchen, nicht früher und nicht später. Andernfalls kann man sie
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