Die Liebe zu Rosen mit Dornen
etwas wie einem Gott. Ihrer Meinung nach ist ihre Lesart einer Studie korrekter als meine.
Aber ich bin diejenige, die in diesem Körper lebt, nicht sie. Ich bin diejenige, die mit dem leben muss, was sie tut. Nach all den Jahren im Umgang mit Ãrzten habe ich schon so manchen Fehler erlebt.
Wer soll sich für mich einsetzen, wenn nicht ich?
Ich würde den Arzt wechseln, wenn ich könnte. Aber wegen meiner bescheidenen Krankenversicherung und dem bescheidenen Krankenhaus, das wir hier haben, ist sie meine einzige Option.
Ich muss das Thema aus meinem Kopf kriegen.
Die Schüler kommen hereingeschlurft. Jeder Einzelne von ihnen wäre lieber woanders. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich wäre auch lieber woanders.
Riley bleibt an der Tür stehen, ist gekommen, wie ich es ihr gesagt habe, will aber nicht eintreten. Ich frage sie, ob sie nicht bleiben und sich auch helfen lassen will, angesichts der Tatsache, dass sie den GroÃteil des Schuljahrs verpasst hat.
»Ich gehe in die Stadtbücherei und arbeite da, bis du fertig bist. Ich bin ja nicht hinterm Mond zur Schule gegangen. Ein bisschen Ahnung hab ich auch.« Riley winkt ab.
»Da hätte ich mich von deinen Zensuren fast täuschen lassen.«
»Eine Schule hinterm Mond wäre wahrscheinlich besser, weil Aliens bestimmt technisch besser ausgestattet sind.« Rileys Rucksack sieht aus, als würde sie gleich unter ihm zusammenbrechen.
Ich lächle über ihre Logik. »Es sei denn, es wäre eine Schule in einer unserer eigenen Raumstationen. Aber du hast recht. Wahrscheinlich müsstest du eine Superschülerin sein, damit du hinterm Mond zur Schule gehen darfst.« Ich gebe ihr die kleine Plastikkarre, mit der ich meine Bücher vom Auto in die Schule und zurück transportiere. »Nimm das Ding hier. Dein Rucksack wird dich noch umbringen.«
»Du legst es echt darauf an, dass mich alle hassen, oder?«
»Selbstverständlich. So sehe ich meinen Job als Erziehungsberechtigte.« Ich grinse, als die Zehntklässler in die Klasse kommen und sich an Riley vorbeischieben. »Da kannst du hier jeden fragen.«
»Das stimmt.« Es ist Brad, kein Zehntklässler. Seine Haare sind frisch gewaschen und gekämmt. »Wenn Sie wollen, könnte ich Riley nach Hause fahren.«
Ich blinzle ihn an. »Ich dachte, du hast Training.«
»Erst heute Abend.« Er schwingt sich Rileys Rucksack auf den Rücken, als wäre das gar nichts. »Willst du mit?«
Ich sehe mir meine Nichte an. Ich kann mir nicht erklären, wieso sie Brad nicht mag, abgesehen davon, dass er sie attraktiv findet. SchlieÃlich ist sie fünfzehn. Jungs mögen sie. Ich habe vollstes Vertrauen zu ihm. Vielleicht mag sie ihn ja auch und benimmt sich deshalb so eckig wie ein spitzwinkliges Dreieck. Genau so habe ich mich Männern gegenüber, die ich mochte, auch immer verhalten. Indem ich sie ignorierte. »Möchtest du hierbleiben, in die Bücherei gehen oder dich von Brad nach Hause fahren lassen?«
Brad möchte sie beruhigen, meidet aber jeden Blickkontakt. »Keine Sorge. Samantha kommt auch mit. Und ich bin ein guter Fahrer. Deine Tante hat es nachgeprüft.«
Das ist übertrieben. Ich prüfe die Fahrkünste meiner Gartenhilfen nicht nach. Nur das Vorstrafenregister.
Sechs Schüler sitzen da und warten auf meine Hilfe. »Riley? Entscheide dich.«
»Ich kann nicht.« Sie klingt, als wäre sie erst drei.
»Wenn du nicht lernst, Entscheidungen zu treffen, werden sie für dich getroffen. Und es könnte sein, dass dir die Entscheidung nicht gefällt. Ich zähle bis zehn.« Ich fange an: »Eins, zwei, drei â¦Â«
Sie deutet mit dem Kopf auf Brad. »Ich fahr mit ihm.«
Ich lächle. »Du wartest auf mich in der Bücherei. Ich hol dich ab, wenn ich fertig bin.«
6
Mein Förderunterricht ist nach einer Stunde zu Ende. Diese Schüler brauchen vor allem eine Zusammenfassung und ständige Wiederholung. Ich hole Mikroskope und Objektträger und lasse sie Lernkarten zu den Zellteilungsstadien anlegen, die wir demnächst in einem Test behandeln werden. Mit Farbstiften sollen sie Mitose und Meiose zeichnen und die einzelnen Stadien eigenständig benennen.
Die Flure sind leer. Viele von uns bleiben noch da, um sich vorzubereiten oder um Nachhilfe zu geben, aber manche sprinten schon vor den Schülern hinaus, sobald die letzte Stunde vorbei
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