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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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irgendwie flüssig an. Die Beulen, die gelbliche Flüssigkeit. Martina seufzte.
    – Es tut mir leid.
    – Du sollst das Sackerl aufmachen.
    – Ist ja gut.
    Martina zupfte den Plastiksack vorsichtig in eine Position, die es ihr erlaubte, den Inhalt zu begutachten, ohne ihn berühren zu müssen. Die Geldtasche war mitBeulen und Geschwüren überzogen. Mit einem Bleistift klappte Martina sie auf: Kreditkarte, Geldscheine, alles war befallen. Sogar ein Foto von Gabrieles Kindern (ihre älteste Tochter sah aus wie der Elefantenmensch).
    Sie versprach sofort, Gabriele ein neues Portemonnaie zu kaufen. Aber Gabriele erzählte den Vorfall trotzdem überall herum und machte Martina dabei schlecht. Wenn sie an den Leuten im Korridor vorbeiging, hielten sich manche die Nase zu und lachten.
    Die Mittagspause verbrachte sie wieder in der Klokabine.
    Am Nachmittag spielten ihr ihre Kolleginnen einen kleinen Streich. Sie sagten: He, willst du einen Zaubertrick sehen, zieh eine Karte. Martina nahm eine Karte, und auf der Unterseite der Karte klebte ein hartgetrockneter Kaugummi, alle lachten. Martina wischte sich die Finger an ihrer Bluse ab, lachte ein wenig mit und ging dann zu ihrer Vorgesetzten, um zu fragen, ob sie heute früher Schluss machen dürfe.
    Ja, sie habe schon mit Martina sprechen wollen, sagte die Chefin.
    Martina blieb im Türrahmen stehen und hörte sich sagen:
    – Sicher, natürlich. Weswegen?
    – Wegen des tschechischen Projekts, antwortete die Chefin streng.
    Bereits zehn Minuten später ging Martina über den Parkplatz. Erst im Auto erlaubte sie sich zu weinen. Nach acht Jahren, sagte sie immer wieder, einfach so. Nach acht Jahren. Und sie drückte ihre Handtasche fest an sich.
    Ihre Finger rieben über eine harte Stelle auf der Außenhautder Chanel 2.55. Ein wenig hatte sie schon damit gerechnet, aber als sie Cat sah, mit dem Geschwür an ihrer Seite, brach Martina in lautes Wehklagen aus. Es war nur eine Tasche, ermahnte sie sich und wollte sich eine Ohrfeige verpassen, damit sie aufhörte, so sentimental zu sein. Aber statt sich zu schlagen, hielt sie sich die kranke Handtasche an die Wange, legte sie auf den Beifahrersitz und untersuchte sie, strich über die kleinen Lederpölsterchen, aus denen ihre Haut bestand.
    Einen Monat später hatte sich ihre Wohnung sehr verändert. Den ganzen Tag über musste ein Fenster offen stehen, damit sie von dem beißenden Gestank nicht wahnsinnig wurde. Die Nachbarn beschwerten sich, klingelten in regelmäßigen Abständen an ihrer Tür, und sie spielte die Ahnungslose. Die Zeitungen, die sie morgens bekam, sahen nach einigen Tagen aus wie schwärzliche Gesteinsbrocken, wie Bruchstücke getrockneter Lava, so schnell griff die Seuche inzwischen um sich.
    Sie wusch sich mindestens zehn Mal am Tag die Hände.
    Da sie sich immer noch ernähren musste, wie jeder andere auch, ging sie einkaufen. Es gab einen SPAR-Supermarkt gleich um die Ecke. Ihre Bankomat-Karte war so deformiert, dass sie nicht mehr in den Automaten passte, also musste sie mit ihrem Sparbuch zur Bank gehen und das Geld bar abheben. Aber auch auf dem Sparbuch wuchsen bereits die ersten Geschwüre. Den verdutzten Bankangestellten speiste sie mit einigen Erklärungen in pseudochemischem Vokabular ab. Sie hob vorsorglich eine große Menge Geld ab, fast dengesamten Betrag, den ihr Sparbuch als Guthaben auswies. Es war ja nicht sicher, wie lange das kleine Büchlein in der Plastikhülle überhaupt noch verwendbar war.
    Die Bargeldnoten berührte sie ausschließlich mit Pinzetten, oder sie zog sich Klinikhandschuhe an, aber es machte keinen Unterschied. Nach einigen Tagen sahen die Geldscheine, die sie mit sich herumtrug, genauso aus wie einst die Visitenkarten.
    Eines Tages ertappte sie sich dabei, wie sie in der Müsliabteilung des Supermarkts jede einzelne Packung berührte. Sie blickte sich um, ob sie jemand beobachtete, aber ihr fiel auf, dass sich alle Menschen genauso verhielten wie sie: Sie gingen langsam die Regale entlang und betasteten alles, was sie interessierte. Mit den letzten Geldscheinen, die noch als solche durchgehen konnten, kaufte Martina mehrere Überlebenspackungen Reis, Nudeln und Mineralwasser, dann ging sie nach Hause.
    In den folgenden Wochen machte sie ausgedehnte Spaziergänge, hielt sich oft ganze Nachmittage lang im Freien auf. Sie befand sich, ohne dass sie es selbst so genannt hätte, in Wartestellung. Dann, eines Morgens, sah sie es: Eine dicke Frau trat mit empört-eiligen

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