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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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ein Kind, das einen Erwachsenenwitz nicht verstanden hat, und sah zu Boden. Dort standen ihre Turnschuhe, bunt und dick. Sie stellte sie, als fahre sie Pflugski, und wippte auf und ab.
    – Ach so, ich habe gedacht, Sie haben dem Schrank vielleicht einen Namen gegeben, sagte sie und blickte mit einem etwas dümmlichen Gesichtsausdruck zu ihm auf.
    Der junge Mann fragte sich – bereits zum dritten Mal an diesem Nachmittag –, ob sie nicht vielleicht betrunken war oder unter dem Einfluss irgendwelcher Substanzen stand. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von seiner Stirn – die Führung durch das Archiv dauerte nun schon eine halbe Stunde – und bedeutete der Frau, ihm in den nächsten Raum zu folgen. Dort stand ein Tisch, darauf eine große Kaffeemaschine. Ein paar ungemahlene Kaffeebohnen kugelten auf dem Fußboden herum.
    – Da Sie vermutlich der letzte Besucher sind, sagteer und korrigierte sich gleich: die letzte Besucher in , lade ich Sie vielleicht zu einem Kaffee ein, was sagen Sie?
    – Gern, sagte die Frau. Die Auflösung der Sammlung … ist also unumkehrbar?
    – Unum … Na ja, sie ist definitiv, würde ich sagen. Es war ja von Anfang an eine Schnapsidee, aber immerhin habe ich jetzt von sehr vielen Leuten die Bestätigung bekommen, dass ich meine Arbeit so gut gemacht habe, wie es unter diesen Umständen eben möglich war. Das tröstet ein wenig.
    – Und wo kommen diese ganzen Dinge jetzt hin?
    – Na ja, es ist ja Gott sei Dank nicht so, dass alles verbrannt –
    Bei diesem Wort zuckte die Frau zusammen und zerdrückte dabei aus Versehen ihren noch leeren Kaffeebecher. Der junge Mann nahm ihn ihr sanft aus der Hand, warf ihn weg und gab ihr einen neuen.
    – Alles bleibt natürlich bestehen, sagte er. Bloß an einem anderen Ort und nicht mehr mit mir als Betreuer, sondern als Teil einer größeren Bibliothek, einer privaten Sammlung.
    – Wer?, fragte die Frau.
    – Das … Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, ich meine … Es ist natürlich kein Geheimnis oder so irgendetwas, aber …
    – Schon in Ordnung, sagte sie.
    – Ein privater Sammler. Mehr kann ich nicht sagen.
    – Okay.
    Der junge Mann öffnete mit den Fingerspitzen einen weißen Kaffeefilter, bildete daraus einen hübschen, breiten Schnabel und pflanzte ihn in den Nähmaschinenkopfder Kaffeemaschine. Dann füllte er Wasser aus einer Flasche und etwas Kaffeepulver ein.
    – Und sind Sie jetzt enttäuscht deswegen?, fragte die Frau.
    – Ach, na ja.
    Der Mann legte den Schalter um. Die Kaffeemaschine erwachte schnaubend und knurrend aus ihrem Schlaf, der – der Staubschicht nach zu urteilen – sehr lange gedauert haben musste. Aus ihrem metallenen Rüsselchen kam ein einsamer brauner Tropfen und platzte auf die blanke Oberfläche des Tisches. Ein fiebriges Glühen erfüllte den Schalter, das eingravierte Wort Power flackerte und flimmerte unregelmäßig. Dann wurde er plötzlich dunkel.
    – Was ist denn jetzt wieder, sagte der junge Mann und tippte mit dem Zeigefinger auf den toten Schalter.
    Er bewegte ihn hin und her. Nichts geschah.
    – Tut mir leid, sagte er zur Maschine.
    – Ist schon in Ordnung, sagte die Frau. Perfektes Timing, oder?
    Der Mann atmete tief aus und drehte sich zu ihr um.
    – Das Timing ist irgendwie immer perfekt, murmelte er, finden Sie nicht auch?
    – Wie?
    – Ach, egal. Außerdem hat diese Kaffeemaschine noch nie richtig funktioniert, sagte er mit einem Kopfschütteln. Na ja, gehen wir halt wieder zurück …
    Er ging voran. Sie folgte ihm. Seine Schuhe machten beim Gehen schmatzende Geräusche, während ihre völlig lautlos waren.
    Zurück im so genannten Empfangszimmer, das aus dem einfachen Grund so hieß, weil es das erste Zimmer war, das ein Besucher betrat, setzte sich der junge Mann kurz hinter seinen Schreibtisch (der aus naheliegenden Gründen Empfangstisch genannt wurde) und wühlte in einer großen Schublade. Er hätte es beinahe vergessen. Er sah auf die Uhr. Tatsächlich, schon so spät. Die Frau sah ihm bei seiner Arbeit zu, dann wurde ihr langweilig, und sie schaute aus dem Fenster.
    – Steht dieses Hochhaus schon lange da?, fragte sie.
    Der Mann raschelte zu Ende, dann blickte er auf, seine Hand steckte immer noch in der Schublade, und er sagte:
    – Nein, erst seit kurzem. Dieser elende Betonklotz …
    Die Frau trat näher ans Fenster und stützte sich mit den Händen auf das staubige Fensterbrett. Über ihren Hintern spannte sich der Stoff ihres Rocks. Eine einzelne

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