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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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einen Laut von sich. Der junge Mann musste andauernd an den Blick des verwitterten Greises denken, der ihm in der Dunkelheit begegnet war. Der private Sammler wird, sagte er sich immer wieder. Der private Sammler wird schon. Der unfertige Satz brachte ihm ein wenig Beruhigung.
    – Hat er etwas gesagt?, fragte die Frau.
    Der Mann räusperte sich ausgiebig, obwohl es da nichts zu räuspern gab.
    – Na ja, sagte er, er hat sich kurz aufgerichtet, glaube ich, und nach seiner Brille getastet. Er hat mich mit Sicherheit für den Postboten gehalten.
    – Den Postboten?
    – Und gestrahlt hat er, sagte der junge Mann etwas wehmütig. Übers ganze Gesicht. Er liebt es, wenn er Briefe bekommt, müssen Sie wissen.
    Sie gingen schweigend nebeneinanderher und kamen zum Empfangstisch, auf dem ein kleiner Umzugskartonstand. Ein bis zur Jahresmitte aufgeschlagener Terminkalender ragte aus einem Müllkorb. Die Schublade präsentierte immer noch breit grinsend ihren Inhalt. Als sie bei der Eingangstür angekommen waren, drehte sich die Frau um, ließ ihn stehen und ging zurück in Richtung des zweiten Raumes. Sie zog ihre Lederjacke aus und legte sie sich über den Arm. Sie trug ein helles T-Shirt, auf das ein Bild von ein paar Palmen an einem Meeresstrand gedruckt war.
    – Wahrscheinlich wird er bald merken, sagte der junge Mann, dass keine Post mehr kommt. Er ist ja nicht dumm, was das betrifft.
    – Schließen Sie gut ab, sagte die Frau. Um den Rest kümmere ich mich.
    Ihre zierliche Hand wanderte auf einen der Lichtschalter und blieb dort, bis der junge Mann die Tür aufgemacht, das Archiv verlassen und es von außen abgesperrt hatte. Ein leises Klicken von Plastik war zu hören, dann lagen die drei Zimmer, die Umgebung und das große monolithische Bürogebäude am anderen Ende der Straße in völliger Dunkelheit da.

Condillac
    Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer Blindenbibliothek als Hilfskraft. Die Bibliothek war im oberen Teil eines zweistöckigen Gebäudes untergebracht und bestand aus mehreren kleinen Räumen, in denen Romane, Sachbücher und heilpädagogische Fachliteratur in Brailleschrift oder als Hörbuch gelagert wurden. Da viele der Braillebücher kein Etikett in Schwarzschrift besaßen, musste ich mir das kleine, kompakte Alphabet der sechs Punkte selbst beibringen. Es dauerte Wochen, bis ich das erste Etikett richtig entziffern konnte. Doch nach und nach wurde ich immer besser darin – manchmal gelang mir sogar das Lesen mit der Fingerkuppe, bei geschlossenen Augen –, und ich durfte den ganzen Tag am Ausleihschalter sitzen, anstatt in einer Kammer kaputte Bücher zu reparieren, den Katalog auf Fehler zu untersuchen oder zweideutige Etiketten durch eindeutige zu ersetzen. Die Bibliothek war ganz auf Widerspruchs- und Barrierefreiheit ausgerichtet. Ein Buch durfte nicht (wie etwa ein Elementarteilchen) an zwei Standorten gleichzeitig existieren.
    Die Stunden in der Blindenbibliothek vergingen langsam. Besucher kamen nur selten, die meisten sehbehinderten oder blinden Menschen, die einen Mitgliedsausweis besaßen, ließen sich ihre Bestellungen in den dafür vorgesehenen blauen Plastikboxen zuschicken. Ich vertrieb mir die Zeit mit dem Basteln komplizierterPapierflieger. Wenn ein paar davon auf dem Boden herumlagen, dachte ich, würde das höchstens den Unmut meiner Kollegen hervorrufen, die Kunden würden sie ohnehin nicht sehen.
    Eines Tages erhielten wir Besuch von einer Delegation von Pädagoginnen. Sie nahmen an einem Kongress über Förderung und Integration in Europa teil, der am darauffolgenden Wochenende in Graz stattfinden sollte. Zu diesem Anlass musste ich alle meine Papierflugzeugwracks aufsammeln und entsorgen, der Leiter der Blindenbibliothek riss in jedem Raum die Fenster auf, um den Geruch nach alt gewordenem Klebstoff ein wenig unter Kontrolle zu bekommen, und jedes Buch in den tonnenschweren Archivschränken musste in eine schöne und vorzeigbare Stellung gebracht werden.
    An diesem Tag wurde ich Zeuge einer ungewöhnlichen Unterhaltung, die ich hier, so gut es geht, rekonstruieren möchte. Die Pädagoginnen standen in der Bibliothek herum und kamen auf verschiedene Herausforderungen und Schwierigkeiten zu sprechen, mit denen sie in ihrem Beruf konfrontiert waren. Ich saß hinter dem kleinen Ausleihtischchen und tat so, als ordnete ich Katalogzettel. In Wirklichkeit hörte ich zu. Den Anfang der Unterhaltung habe ich nicht mitbekommen. Er dürfte wohl für alle Zeiten verloren sein. Auch

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