Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
Querflöte mit bürgerlichem Namen hießen.
Die Nacht über ließ Markus die eingewickelte Leiche in der Badewanne liegen. Am nächsten Tag verschlief er beinahe, weil er das Klingeln des Weckers im Traum für das traurige Abschiedsquaken eines Frosches hielt, der in einer kleinen Rakete in eine geostationäre Umlaufbahn um die Erde geschossen wurde. Ihm blieb gerade noch Zeit für ein leichtes Frühstück, dann nahm er den Bus zur Arbeit. Am späten Nachmittag kam er nach Hause zurück.
Schon beim Eintreten bemerkte er den Geruch. Er war nicht sehr stark, aber er war da. Er ging ins Badezimmer. Die Leiche lag da wie gestern Abend, nur auf dem Tuch, das ihr Gesicht bedeckte, hatte sich ein Fleck gebildet, der in seiner Form ein wenig an ein Ahornblatt erinnerte.
Der Tag im Büro war anstrengend gewesen, und normalerweise hätte Markus liebend gerne ein Bad genommen, sich im warmen Wasser ausgestreckt, mit den Zehen gewackelt und alle Sorgen, die in seinem Kopf herumschwirrten, im knisternden Schaumgebirge langsamuntergehen lassen. Heute hielt er es ja vielleicht noch aus, auf dieses tägliche Reinigungsritual zu verzichten, aber als Dauerlösung war dieser Zustand sicher nicht zu ertragen. Im Grunde wurde er schon jetzt nervös. Er zerrte die Leiche aus der Badewanne, rollte sie ins Nebenzimmer und spülte die Wanne mit der Brause sauber. Er verbrauchte fast die ganze Flasche Fliesenreiniger, bis er endlich das Gefühl hatte, ohne größere Ekelgefühle nackt in die Wanne steigen zu können.
Doch bevor er ein Bad nahm, machte er sich daran, die Leiche in den teilweise leeren Kleiderschrank zu stellen, der in seinem Arbeitszimmer stand. Merkwürdig, dass er daran nicht schon früher gedacht hatte. Immerhin hatte er in dem Kleiderschrank schon einmal eine ganze Garnitur aufgerollter Rollos untergebracht (wie Dynamitstangen hatten sie ausgesehen, mit der weißen Schnur, die am oberen Ende herausragte). Die Leiche passte gut in den Schrank, aber wenn Markus versuchte, die Tür zu schließen, kippte sie jedes Mal vornüber heraus, und er musste sie auffangen. Wie bei einer Wiederbegegnung nach sehr langer Zeit fiel sie ihm um den Hals. Schließlich fixierte er ihre Handgelenke mit Klebestreifen innen an der Schrankwand und überklebte auch den Lüftungsschlitz im Boden mehrfach, bis er das Gefühl hatte, so könnte das Ganze zumindest für ein paar Tage gehen.
Er war gerade mal drei Minuten im Badezimmer und spielte mit dem Duschkopf, als er den Aufschlag hörte. Er stellte das Wasser ab und lauschte. Alles ruhig, aber es half nichts, er ahnte schon, was passiert war. Halb nackt ging er aus dem Bad zurück in sein Arbeitszimmer.
Der Anblick der Frau, die in furchtbarer Verrenkung halb noch im Schrank, halb davor lag, war so lächerlich, dass Markus eine Art brüllendes Niesen von sich gab, verursacht nicht durch eine Überreizung seiner Nasenschleimhäute, sondern seines Vorstellungsvermögens.
Bevor er sie hochheben konnte, musste er sie erst einmal auseinanderfalten, ja, tatsächlich auseinanderfalten, denn sie hatte – mein Gott, nicht einmal ein Schlangenmensch hätte für eine solche Körperhaltung etwas übrig gehabt. Aber es war eine Leiche, sagte er sich, nichts Lebendiges. Da durfte man nicht dieselben Maßstäbe anlegen.
Vielleicht war es ja besser, wenn er die Leiche so ließ, wie sie war, ein zusammengeballtes Durcheinander von Armen und Beinen und einem an mehreren Stellen bereits aus den Nähten platzenden Rumpf. Der Transport war auf alle Fälle leichter, aber natürlich nahm sie so mehr Platz weg als im auseinandergefalteten Zustand.
Der Teppich in Markus’ Wohnzimmer war einer der altehrwürdigen Sorte. Er hatte schon viele Generationen getragen, das Getrappel von Kinderfüßen war auf ihm zu den schweren Tritten des Alters und der Verantwortung herangewachsen, er hatte Brautpaare und Trauergäste in Empfang genommen, sein Muster hatte den geometrischen Sinn von rund zwanzig Menschen oder vielleicht sogar mehr beschäftigt, er hatte Weltkriege überstanden und Zeiten der Euphorie und des inspirierten Chaos, kurz – es war ein Teppich, unter den man nicht einfach so eine Leiche schob.
Markus wusste das. Er wusste das alles und trotzdem – es fiel ihm keine andere Lösung ein. Alles hatte erversucht, den Kleiderschrank, den Heizkörper, die Badewanne. Außer die Leiche zu packen und Beine über Hals über Kopf aus dem Fenster zu werfen, blieb ihm nicht mehr viel übrig. Außerdem drängte die
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