Die lieben Patienten!
ein Mittel gegen verweinte Augen. Würdest du bitte zwei Wattebäusche damit tränken und sie mir geben?«
Ich tat es, und sie schloß ihre verweinten Augen und legte die feuchte Watte darauf.
»Dreißig Minuten«, sagte sie, »und ich bin wie neugeboren. So steht das auf der Flasche, in französisch.«
»Ich hole mir nur eben die Schachtel, weshalb ich hier hereinkam, und dann lasse ich dich allein.«
»O.K. - Dok?«
»Ja?«
»Es braucht aber keiner zu wissen, nicht wahr?«
»Keine Seele«, versprach ich. »Versuch jetzt zu schlafen.«
Als ich um Mitternacht von einem Besuch bei Mrs. MacConnal, die diesmal einen äußerst ernsten Anfall ihres Herzasthmas gehabt hatte, nach Hause kam, fand ich Sylvia zusammengekauert und schlafend in einem Sessel im Kaminzimmer. Sie sah erschöpft aus, was wirklich nicht überraschend war. Die letzten Tage waren für sie härter als für mich gewesen. Sie hatte zu ihrer üblichen Kocherei, Wäscherei, Plätterei und dem Bedienen des Telefons noch drei Kranke zu betreuen, da wir im Augenblick gerade ohne Haushaltshilfe waren. Sie öffnete ihre Augen, als ich meine Tasche hinstellte, und ich beobachtete ihren schwachen Versuch, sich zu orientieren.
»Armer Schatz«, flüsterte ich.
»Gott sei Dank, daß es noch nicht Morgen ist. Ich hatte das schreckliche Gefühl, daß ich schon aufstehen müßte.«
»Warum bist du nicht ins Bett gegangen?«
»Ich war zu müde zum Ausziehen.«
»Keine Anrufe mehr?«
Sie blickte auf den Notizblock, der auf der Lehne ihres Sessels lag.
»Die Hebamme rief an, daß Mrs. Heap ihr Baby hat. Die Wehen dauerten nur zwanzig Minuten, so daß keine Zeit war, dich zu rufen.«
Dem Himmel sei Dank für diese gute Gabe.
Jetzt war Sylvia endlich ganz wach und setzte sich gerade auf. »Du kannst wohl nicht morgen abend um fünf Uhr dreißig zum Victoria-Bahnhof fahren?«
»Sonst nichts? Warum?«
»Ich bekam einen Brief von Miss Wiederkehr.«
»Wer ist das?«
»Unsere neue au pair.«
Sie nahm den Brief aus ihrer Tasche und entfaltete ihn. »Sie kommt >mit dem Zug und dann mit einem anderen Zug und dann mit dem Schiff und dann wieder mit dem Zug< und ob wir so freundlich sein würden, sie vom Bahnhof abzuholen.«
»Woher kommt sie?«
»Aus der Schweiz.«
»Nun, ich kann bestimmt nicht, wenn ich nicht meine ganze Sprechstunde absagen soll.«
»Das Englisch unserer neuen Haustochter ist ja ziemlich mangelhaft, nach dem Brief zu schließen.«
»Macht nichts. Ich hoffe, sie versteht wenigstens aufzuwaschen.«
»Das wird sie in diesem Haus bald lernen. Wen soll ich denn zum Bahnhof schicken?«
»Am besten rufst du morgen früh Straker an. Gib ihm das Foto von ihr mit, dann findet er sie schon.«
Straker war einer meiner Patienten, der einen Leihwagendienst hatte.
»Leider werde ich wohl doch mitfahren müssen«, entschied sich Sylvia seufzend.
»Miss Wiederkehr und Doktor Letchworth. Das wird ein Leben geben.«
»Wie ging es Mrs. MacConnal?«
»Schlecht. Zwei oder drei weitere Anfälle, und ich nehme an, es ist aus.«
»Was hatte sie denn heute zu schimpfen?«
»Nichts. Sie war zu krank. Nur ihr Mann beschuldigte mich, daß ich sie vernachlässigen würde, weil sie nicht in einem der herrschaftlichen Häuser mit Aufzug wohnten.«
»Auch das noch!«
»Er war betrunken. Keine Angst, eines Tages wird man mich ehren, und wenn es nur in einem Nachruf im Ärztejournal ist, geschrieben von einem der Kollegen, der nur allzu glücklich ist, meine Patienten erben zu können... Ungefähr so: >... er war unermüdlich tätig, und ich habe ihn oft bewundert, wie er neben seinen überfüllten Sprechstunden und seinen unzähligen Krankenbesuchen noch die Zeit fand, sich seinen Hobbys zu widmen, dem Briefmarkensammeln, dem Bienenzüchten...<«
»Du meinst Golf«, warf Sylvia ein.
»Unterbrich mich nicht. >... ein sehr geschätzter Kollege, sein fröhlicher Humor und seine vertrauenerweckende Art wirkten als Beruhigungsmittel auf einen ängstlichen Patienten und flößten einem besorgten Kranken Vertrauen ein. Keine Anstrengung war ihm jemals zuviel, wenn es um das Wohl seiner Kranken ging.<«
»Huh!« stieß Sylvia hervor.
»>... durch seinen Tod in der Blüte seiner Jugend hat der Ärztestand und der Bezirk, in dem er praktizierte, einen Arzt verloren, der noch einmal die Ideale einer fast verschwundenen älteren Generation verkörperte, aber noch jung genug war, um auch alles, was in der Neuzeit besser ist, anzuwenden. Seine dankbaren Patienten und
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