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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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auf dem Dach!«
    »Wir leben in einer belagerten Stadt, Mama«, erwiderte Tatiana. »Es ist überall gefährlich!«
    Wie jeden Morgen um acht Uhr begann die Bombardierung. Tatiana hatte noch nicht einmal ihre Lebensmittelration abholen können.
    Die ganze Familie ging hinunter in den Luftschutzkeller. Unruhig trommelte Tatiana mit den Fingern auf ihr Knie. Nach einer Stunde war es vorbei.
    Papa gab Tatiana seine Lebensmittelmarken und bat sie, auch seine Rationen abzuholen. »Taneschka, bring meine auch gleich mit«, verlangte Mama. »Ich habe vor der Arbeit noch so viel zu tun. Ich nähe doch zusätzliche Uniformen für die Armee.« Sie lächelte. »Eine Uniform für unseren Alexander, zehn Rubel für mich.«
    Tatiana forderte Marina auf, sie zu begleiten, aber Marina hatte keine Lust. Also ging Tatiana allein zu einem großen Laden am Fontanka-Kanal neben dem Theater. Um sieben Uhr sollte an diesem Abend Shakespeares Sommernachtstraum gegeben werden.
    Die Schlange vor dem Laden reichte fast bis zur Uferpromenade. Als Tatiana an der Theke angelangt war, erfuhr sie, dass die Rationen noch weiter gekürzt worden waren. Papa bekam ein Pfund Brot auf seine Karte, die anderen erhielten dreihundertfünfzig Gramm und Marina und Babuschka sogar nur zweihundertfünfzig Gramm. Zusammen waren das ungefähr zwei Kilo Brot pro Tag. Tatiana gelang es, ein paar Karotten, Sojabohnen und drei Äpfel zu ergattern. Zudem kaufte sie hundert Gramm Butter und einen halben Liter Milch. Zu Hause angekommen, berichtete Tatiana ihrer Familie von den reduzierten Rationen. Die anderen reagierten gelassen. »Zwei Kilo Brot?«, fragte Mama und legte ihr Nähzeug beiseite. »Das ist mehr als genug. In Kriegszeiten brauchen wir uns doch nicht so voll zu stopfen. Wir können uns ruhig ein wenig einschränken. Außerdem haben wir ja immer noch unsere Vorräte. Wir kommen schon aus!«
    Tatiana teilte das Brot in zwei Portionen - eine war fürs Frühstück, die andere fürs Abendessen. Daraus machte sie jeweils sechs kleinere Portionen. Papa gab sie die größte und sich selbst die kleinste.
    Im Krankenhaus war nicht mehr die Rede von einer Ausbildung. Tatiana musste die Toiletten und Badezimmer putzen und die schmutzige Bettwäsche waschen. Sie servierte den Patienten das Mittagessen und dabei fiel immer auch für sie selbst etwas ab. Manchmal besuchten Soldaten die Kantine. Tatiana freute sich, wenn sie sich mit ihr unterhielten. Wenn sie dann sogar noch erfuhr, dass sie in der Pawlow-Kaserne stationiert waren, schlug ihr Herz ein wenig schneller. An diesem Abend hatte Tatiana genug Zeit, um das Abendessen zuzubereiten und aufzuräumen, bevor um neun Uhr die Sirenen heulten. Während des Tages hatte es immer wieder Fliegeralarm gegeben und nun saß sie erneut stundenlang im Luftschutzkeller. Tatiana fragte sich, wie viele solcher Aufenthalte sie wohl noch erdulden müsse.
    Der Luftschutzkeller war lang und schmal und nur zwei Kerosinlampen gaben spärliches Licht für die über sechzig Mensehen, die auf den Bänken saßen oder an der Wand lehnten. »Papa, was glaubst du, wie lange es noch dauert?«, fragte Tatiana ihren Vater.
    »In ein paar Stunden ist es vorbei«, erwiderte er müde. Tatiana roch den Wodka in seinem Atem.
    »Ich habe den Krieg gemeint. Wie lange dauert er noch?«, hakte Tatiana nach.
    »Woher soll ich das wissen?«, gab er zurück und versuchte aufzustehen. »Wahrscheinlich bis wir alle tot sind!« »Mama, was ist mit Papa los?«, fragte Tatiana entgeistert. »Wie kannst du nur so dumm sein! Es ist natürlich wegen Pascha!«
    »Ich bin nicht dumm!«, murmelte Tatiana. Aber wir sind schließlich auch noch da, dachte sie im Stillen. Seine Familie brauchte ihn. Warum konnte er sich nicht ein wenig zusammennehmen?
    Beim nächsten Alarm nahm Tatiana etwas zu lesen mit, damit ihr die Zeit nicht so lang wurde.
    Am nächsten Tag, als die anderen Familienmitglieder in den Luftschutzkeller eilten, blieb Tatiana ein wenig zurück und lief dann aufs Dach hinauf, wo Anton und Kirill den Himmel beobachteten. Es war ihr gleichgültig, ob die anderen ihre Abwesenheit bemerken würden.
    Das Krachen der Detonationen und das Pfeifen der Bomben war Furcht erregend. Während der zwei Stunden schlug jedoch keine einzige Bombe in der Nähe ein.
    Von Alexander oder Dimitri hörten sie nichts. Die Mädchen waren außer sich vor Angst und stritten ständig miteinander. Nur Babuschka Maya blieb unerschütterlich ruhig und malte. »Babuschka, woher nimmst du

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