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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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führte, und beobachtete die rauchenden, lachenden Soldaten, die herauskamen. Eine halbe Stunde lang blieb sie so stehen. Dann ging sie zurück zum Krankenhaus, wobei sie dachte: Weder Bomben noch mein gebrochenes Herz können mich davon abhalten, barfuß mit dir im Jasminjuni über das Marsfeld zu gehen.

    An diesem Abend fielen Bomben auf das Suworowskij-Krankenhaus, in dem Papa lag.
    Das Gebäude fing Feuer und brannte trotz aller Löschversuche ab, da es nicht aus Stein, sondern aus Lehm und Flechtwerk gebaut war, wie die meisten Gebäude in Leningrad, die noch aus dem achtzehnten Jahrhundert stammten. Als das Haus einstürzte, begrub es die Patienten unter sich und auch Papa kam in den Flammen um.
    Dascha, Tatiana, Marina und Mama liefen zum Suworowskij und sahen entsetzt und ohnmächtig zu, wie das Gebäude im Flammeninferno in sich zusammensank. Die Mädchen halfen bei den Löscharbeiten, aber es war sinnlos. Tatiana wickelte verkohlte Leichen in nasse Laken, die das Grecheskij-Krankenhaus zur Verfügung gestellt hatte. Sie blieb bis zum Morgen. Dascha und Marina gingen mit Mama nach Hause.
    Nur eine Hand voll Menschen hatte die Bombardierung überlebt. Die Feuerwehrleute machten sich gar nicht die Mühe, nach Papas Leiche zu suchen. »Schau dir das Gebäude doch an, Mädchen«, sagte einer der Männer. »Sieht es so aus, als ob wir da noch irgendetwas herausholen könnten?« Er tätschelte ihr geistesabwesend die Schulter. »Dein Vater war da drin, oder? Die verdammten Deutschen! Genosse Stalin hat Recht. Ich weiß noch nicht wie, aber das zahlen wir ihnen alles heim.«
    Als Tatiana im Morgengrauen langsam nach Hause ging, dachte sie daran, wie sie selbst im Bahnhof von Luga verschüttet gewesen war und wie sie gespürt hatte, dass drei der Leute, unter deren Körper sie gekrochen war, gestorben waren. Sie hoffte, dass Papa nichts mehr gespürt hatte.
    Zu Hause nahm sie stumm die Lebensmittelkarten der Familie und ging in den Laden, um Brot zu kaufen.
    Nach dem Tod ihres Vaters wurde das Leben für Tatiana in den zwei Zimmern der Gemeinschaftswohnung noch schwieriger. Mama war untröstlich und redete nicht mit Tatiana. Dascha war wütend und redete nicht mit Tatiana. Tatiana war sich nicht sicher, ob sie wegen Papa oder wegen Alexander wütend war.
    Marina besuchte jeden Tag ihre Mutter in Vyborg und blickte Tatiana von Zeit zu Zeit verständnisvoll an. Und Babuschka malte. Sie malte einen Apfelkuchen, der nach Tatianas Meinung so aussah, als ob man ihn auf der Stelle essen könnte.
    Ein paar Tage nach Papas Tod forderte Dascha Tatiana auf, mit ihr zur Kaserne zu kommen, damit sie Alexander sagen konnte, was passiert war. Zur Verstärkung nahm Tatiana auch noch Marina mit. Sie wollte Alexander sehen, und doch ... es gab so wenig zu sagen. Oder gab es zu viel zu sagen? Alexander war nicht in der Kaserne und Dimitri ebenfalls nicht. Anatoli Marasow kam in den Durchgang und stellte sich ihnen vor.
    Alexander hatte Tatiana von ihm erzählt. »Ist Dimitri nicht in Ihrer Einheit?«, fragte sie.
    »Nein, er ist bei Unteroffizier Kaschnikow, der eine der Einheiten unter meinem Kommando führt, aber sie sind auf höheren Befehl alle nach Tikhvin geschickt worden.« »Nach Tikhvin? Auf die andere Seite des Flusses?«, fragte Tatiana.
    »Ja, es gibt dort nicht genug Männer.« »Alexander auch?«, fragte Tatiana atemlos.
    »Nein, er ist in Karelien«, erwiderte Marasow und blickte Tatiana bewundernd an. »Dann sind Sie also das Mädchen?« Marasow lächelte. »Das Mädchen, für das er alle anderen aufgegeben hat?«
    »Nicht sie«, sagte Dascha grob und drängte sich neben Tatiana. »Ich. Ich bin Dascha. Erinnern Sie sich nicht mehr? Wir haben uns Anfang Juni bei Sadko kennen gelernt.« »Dascha«, murmelte Marasow. Tatiana wurde blass und lehnte sich an die Wand. Marina starrte sie an. Marasow wandte sich an Tatiana. »Und wie heißen Sie?« »Tatiana«, sagte sie.
    Ein Funkeln trat in Marasows Augen, erlosch aber sofort wieder. Dascha fragte: »Kennt ihr euch?« »Nein. Wir sind uns noch nie begegnet«, sagte er. »Oh«, bemerkte Dascha, »einen Augenblick lang hat es so ausgesehen, als ob Sie meine Schwester kennen würden.« Marasow richtete seinen Blick wieder auf Tatiana. »Keineswegs«, sagte er langsam. Er zuckte mit den Schultern. »Ich sage Alexander, dass Sie hier waren. Ich treffe ihn in ein paar Tagen in Karelien.«
    »Ja. Und erzählen Sie ihm bitte, dass unser Vater gestorben ist«, sagte Dascha. Tatiana

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