Die Liebenden von Leningrad
und war bedeckt mit Speck und Aspik. »Was ist das?«, fragte sie noch einmal und ihre Augen leuchteten vor Entzücken.
»Eine Art Schinken. Auf Russisch heißt es tuschonka.« »Es schmeckt viel besser als Schinken.« »Darf ich auch mal probieren?«, fragte Dascha. »Nein.« Alexander drehte sich noch nicht einmal zu ihr um. »Deine Schwester soll die ganze Dose allein essen. Du hast schon gegessen, Dascha. Denk an den Eintopf.« »Nur ein kleines bisschen«, bettelte Dascha. »Nur zum Probieren.« »Nein.«
»Tania, bitte«, sagte Dascha. »Es tut mir Leid, dass ich deinen Eintopf gegessen habe. Ich weiß, dass du böse auf mich bist.« »Ich bin nicht böse auf dich, Dascha.«
»Aber ich«, sagte Alexander und sah Dascha an. »Du bist eine erwachsene Frau. Ich hätte mehr von dir erwartet.« Mürrisch erwiderte Dascha: »Ich habe doch schon gesagt, dass es mir Leid tut.«
Tatiana aß zwei weitere Bissen. Jetzt war nur noch der halbe Inhalt übrig.
Noch ein Bissen. Jetzt waren nur noch zwei kleine Stückchen da. Tatiana leckte den ganzen Speck und Aspik auf, dann nahm sie ein Stück aus der Dose und reichte es Alexander. Er schüttelte den Kopf. »Bitte«, sagte Tatiana, »eins für dich, eins für Dascha.«
Dascha riss es Alexander aus der Hand, Tatiana reichte ihm das letzte Stück und er aß es. Genussvoll leckte sie die Dose aus. »Das war ganz wundervoll. Woher hast du es?« »Ein Tauschgeschäft mit den Amerikanern. Eine Kiste Dosenfleisch für Leningrad und zwei von ihren Armeelastern.« »Da hättest du besser noch eine Kiste von dem Fleisch genommen.«
»Ach, ich weiß nicht, es sind sehr gute Laster.« Alexander lächelte.
Tatiana hätte am liebsten sein Lächeln erwidert. Stattdessen fragte sie ihre Schwester: »Dascha, Liebes, wie geht es Nina?« »Schrecklich.«
Ein paar Minuten später musste Alexander wieder in die Kaserne zurück. Als Tatiana am nächsten Morgen aufstand, um die Rationen zu holen, begleitete Dascha sie. Schon am Morgen darauf blieb sie wieder im Bett liegen, aber unten vor dem Haus wartete ein Soldat auf Tatiana. »Ober-gefreiter Petrenko!« Sie lächelte ihn an. »Was machen Sie denn hier?«
»Befehl vom Hauptmann.« Er grüßte und blickte sie freundlich an. »Er hat mich gebeten, Sie zum Laden zu begleiten.« Am nächsten Morgen stand Petrenko nicht vor der Haustür, aber Alexander wartete am Fontanka-Kanal auf Tatiana. Er begleitete sie nach Hause und ging dann in die Kaserne zurück. Am nächsten Morgen holte er sie von zu Hause ab. Als sie vom Laden zurückgingen, sahen sie eine Frau, die sich auf der Ulitsa Nekrasowa mit zwei Schlitten abmühte. Auf einem lag ein in ein weißes Laken gehüllter Leichnam und auf dem anderen stand eine borsoika. Alexander ging hin, um ihr zu helfen.
Tatiana lehnte sich an eine Hauswand und wartete geduldig auf ihn, als plötzlich drei Jungen auf sie zukamen. Alexander zog gerade einen der Schlitten und hatte Tatiana den Rücken zugewandt. »Alexander!«, rief sie, aber der Wind war so heftig, dass er ihre Stimme verschluckte und Alexander sie nicht hörte.
Tatiana blickte den Jungen entgegen. In einem erkannte sie denjenigen wieder, der ihr vor ein paar Tagen das Brot gestohlen hatte. Die Straße war leer und der Schnee türmte sich meterhoch zu beiden Seiten. Es fuhren keine Autos und keine Busse. Tatiana seufzte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie weglaufen sollte, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Also blieb sie stehen.
Als die Jungen näher kamen, hielt sie ihnen wortlos ihr eigenes Brot und auch das von Alexander hin. Zwei der Jungen packten sie und zogen sie in den Hauseingang. Sie versuchte zwar, sich zu wehren, aber auch dazu war sie zu schwach. Eine Messerklinge blitzte vor ihr auf.
Ohne zu zucken, sah Tatiana den Jungen ins Gesicht und sagte: »Ihr haut besser ab. Er bringt euch sonst um.« »Was?«, fragte einer der Jungen.
»Verschwindet!«, schrie Tatiana, aber in diesem Moment sauste schon ein Gewehrkolben auf den Kopf des Jungen nieder, und er sank zu Boden. Die anderen beiden hatten noch nicht einmal Zeit, sie loszulassen. Alexander schlug sie beide nieder. Er zog Tatiana aus dem Hauseingang und sagte zu ihr: »Tritt beiseite.«
Dann zielte er mit seinem Gewehr auf die Jugendlichen. »Nein!«, schrie sie.
Er schob ihre Hand weg. »Tatiana, bitte. Wenn sie wieder zu sich kommen, terrorisieren sie jemand anderen.« »Shura, bitte! Ich habe ihre Augen gesehen. Sie überleben den heutigen Tag sowieso nicht
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