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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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erwartet? Einen Palast mit Zwiebeltürmen?« »Darf ich hinein?«
    »Nur bis zum Tor. Ich gebe mein Gewehr ab und melde mich ab. Du wartest dort, in Ordnung?«
    »Ich warte.« Sie gingen den Gang entlang bis zu einem Eisentor. Ein junger Wachtposten hob grüßend die Hand. »Gehen Sie durch, Leutnant. Wer ist bei Ihnen?« »Tatiana. Sie wartet hier auf mich, Feldwebel Petrenko.« »Natürlich«, erwiderte der Wachtposten und beäugte Tatiana verstohlen, jedoch nicht unauffällig genug, so dass sie es bemerkte. Sie schaute Alexander nach, der hinter dem Eisentor einen Hof überquerte. Er begrüßte einen großen Offizier, blieb dann stehen und plauderte kurz mit ein paar rauchenden Soldaten. Dann lachte er laut auf und ging weiter. Nichts unterschied Alexander von den anderen, außer dass er größer war, dunklere Haare und weißere Zähne hatte, breitere Schultern und einen längeren Schritt. Und er wirkte so lebhaft im Gegensatz zu den stillen Männern! Petrenko fragte Tatiana, ob sie sich setzen wolle. Sie schüttelte den Kopf. Alexander hatte ihr gesagt, sie solle hier warten, und sie würde sich nicht von der Stelle rühren. Und ganz bestimmt würde sie sich nicht auf den Stuhl irgendeines anderen Soldaten setzen, auch wenn sie sich gern einen Moment ausgeruht hätte.
    Während Tatiana wartend am Garnisonstor stand, kam es ihr vor, als flöge sie auf einer Wolke dahin. Das Schicksal hatte ihr einen schier unglaublichen Nachmittag beschert - erfüllt von Verlangen, Verlangen nach dem Leben.
    Einer von Dedas Lieblingssprüchen war: »Das Leben ist so unvorhersehbar! Das mag ich am wenigsten daran. Wenn es doch wenigstens so klar wäre wie die Mathematik.« An diesem Tag jedoch konnte Tatiana ihm gar nicht zustimmen. Ein Tag wie dieser war tausendmal schöner als ein Tag in der Schule oder in der Fabrik. Ein Tag wie dieser war bestimmt der schönste in ihrem Leben.
    Sie trat auf den Wachtposten zu und fragte: »Sagen Sie, dürfen Zivilisten tatsächlich nicht hinein?«
    Lächelnd und augenzwinkernd erwiderte Petrenko: »Nun, das hängt davon ab, was der Wachtposten dafür bekommt.« »Das reicht, Feldwebel«, sagte Alexander, der sich in diesem Moment wieder näherte. »Lass uns gehen, Tania.« Er hatte sein Gewehr nicht mehr dabei.
    Gerade als sie durch den Gang auf die Straße treten wollten, sprang aus einer versteckten Tür, die Tatiana nicht bemerkt hatte, ein Soldat auf sie zu. Er erschreckte sie so sehr, dass sie aufschrie. Alexander legte ihr die Hand auf den Rücken und sagte kopfschüttelnd: »Dimitri, warum machst du das?« Der Soldat lachte laut. »Um eure Gesichter zu sehen, darum!« Tatiana gewann die Fassung zurück. Irrte sie sich, oder hatte Alexander sie wirklich beschützen wollen? Wie unnötig! Lächelnd sagte der Soldat: »Also, Alex, wer ist denn deine neue Freundin?«
    »Dimitri, das ist Tatiana.«
    Dimitri schüttelte Tatiana heftig die Hand und wollte sie nicht mehr loslassen. Doch sie entzog sie ihm freundlich. Dimitri war durchschnittlich groß, aber verglichen mit Alexander war er klein. Er hatte typisch slawische Gesichtszüge. Seine Nase war breit und verlief leicht nach oben gebogen und seine Lippen waren extrem schmal. Am Hals hatte er sich beim Rasieren mehrmals geschnitten. Unter seinem linken Auge entdeckte Tatiana ein kleines, schwarzes Muttermal. Seine Mütze hatte keinen emaillierten, roten Stern wie die von Alexander und seine Schulterklappen waren auch nicht aus Metall, sondern aus Stoff. Und er trug keinen Orden. »Freut mich, dich kennen zu lernen«, sagte Dimitri. »Wohin geht ihr beiden denn?« Alexander sagte es ihm.
    »Wenn ihr wollt, helfe ich euch gern dabei, die Einkäufe zum Haus zu tragen«, erwiderte Dimitri.
    »Das können wir schon allein, Dima, danke«, sagte Alexander. »Nein, nein, es macht mir überhaupt keine Mühe.« Dimitri lächelte. »Es wäre mir sogar ein Vergnügen.« Dabei blickte er Tatiana an.
    »Und wie hast du unseren Leutnant kennen gelernt, Tatiana?«, fragte Dimitri. Er ging bereits neben ihr her, während Alexander sich im Hintergrund hielt. Tatiana drehte sich zu ihm um und registrierte, dass er sie besorgt anblickte. Kurz darauf trat er neben sie. Der Voentorg-Laden lag direkt um die Ecke. »Ich bin ihm im Bus begegnet«, sagte Tatiana zu Dimitri. »Ich hatte mich verfahren. Er hatte Mitleid mit mir und hat mir seine Hilfe angeboten.«
    »Na, da hattest du aber Glück«, erwiderte Dimitri neckend. »Niemand hilft einer Dame in Bedrängnis

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