Die Liebenden von Leningrad
geht nicht. Der Zensor würde es garantiert entwenden.«
»Der Zensor? Dann sollte ich dir also besser nicht in Englisch schreiben?«
»Wenn du willst, dass ich am Leben bleibe, lieber nicht.« »Das ist das Einzige, was ich will«, erwiderte Tatiana.
»Ich schicke dir das Geld über die Verwaltung in Molotow«, sagte Alexander. »Du kannst einmal im Monat dort nachfragen. Ich sage einfach, dass ich es Daschas Familie zukommen lasse.« Alexander schloss die Augen und drückte Tatiana einen Kuss auf die Haare. »Ich muss jetzt gehen. Es fährt nur ein Zug am Tag.«
Tatiana sagte leise: »Ich bringe dich zur Straße. Hast du alles?« »Ja.«
Zusammen gingen sie den Waldpfad entlang. Alexander drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf den blauen Fluss, die grünen Lärchen und ihre Holzhütte. »Schreib mir«, sagte er zu Tatiana, »damit ich weiß, wie es dir geht, und mir keine Sorgen machen muss.« »Gut.« Sie schlang die Arme um sich. »Aber schreib du auch.« Als sie zur Straße kamen, drückte sie ihm zärtlich die Hand auf das Herz. »Bleib am Leben für mich, Soldat, hörst du?« Tränen strömten ihr übers Gesicht.
Alexander zog ihre Hand an die Lippen. Sie trug seinen Ring. Er war nicht imstande, etwas zu sagen.
Tatiana legte ihre zitternde Hand auf seine Wange. »Mir geht es gut, Liebster«, flüsterte sie. »Alles wird gut.« »Sieh mir nicht mehr nach, geh direkt nach Hause«, bat er sie. »Ich kann nicht weggehen, wenn du hier stehen bleibst.« Tatiana wandte sich ab. »Na los, ich sehe dir nicht nach.« Alexander blieb unschlüssig stehen. »Bitte«, sagte er schließlich. »Bitte geh nach Hause.« »Shura, ich will nicht, dass du gehst.«
»Ich weiß, ich will es auch nicht, aber ich kann nur überleben, wenn ich weiß, dass du in Sicherheit bist. Ich muss jetzt gehen. Sieh mich an und lächle.«
Tatiana wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu und lächelte. Alexander hob seine zitternde rechte Hand an seine Schläfe, an seine Lippen, an sein Herz.
Tatiana ging zurück in die Hütte und legte sich aufs Bett. Während sie in einer Art Dämmerzustand verharrte, hörte sie, dass die vier alten Frauen die Hütte betraten. Sie unterhielten sich leise, während sie Tatiana die Decken zurechtzogen, die Kissen aufschüttelten und ihr über das Haar strichen. Dusia sagte: »Sie muss auf den Herrn vertrauen. Er wird sie retten.«
»Ich habe ihr ja gesagt, dass es nicht gerade gut ist, sich in einen Soldaten zu verlieben. Die brechen einem nur das Herz«, warf Naira ein.
Raisa war anderer Meinung. »Ich glaube, das Problem ist ein anderes: Sie liebt ihn einfach zu sehr!«
Axinja flüsterte: »Du Glückliche« und tätschelte Tatiana den Rücken.
»Was heißt hier glücklich?«, fragte Naira empört. »Wenn sie auf uns gehört hätte, wäre das alles nicht passiert!« »Wäre sie nur häufiger mit mir in die Kirche gegangen«, klagte Dusia. »Der Herr hätte sie schon zu trösten gewusst.« »Was denkst du, Taneschka?«, wisperte Axinja. »Glaubst du, dass dich der Herr trösten könnte?«
Naira sagte: »Das nutzt doch alles nichts! Damit ist ihr bestimmt nicht geholfen.«
»Ich habe ihn von Anfang an nicht leiden können!«, verkündete Dusia.
Naira stimmte ihr zu. »Ich auch nicht. Ich habe nie verstanden, was Tania an ihm fand.«
»Sie ist viel zu gut für ihn!«, sagte Raisa.
»Wenn du mich fragst, ist sie überhaupt zu gut für einen Mann.«
Aber Dusia plagte etwas anderes. »Tania sollte öfter zu Gott beten.«
»Und mein Vova ist so ein netter, lieber Junge. Er hat sie wirklich gemocht!«, jammerte Naira.
Raisa geiferte: »Ich wette mit euch, dass Alexander nicht wieder herkommt. Er hat sie für immer hier zurückgelassen!« »Du hast bestimmt Recht. Er hat sie geheiratet...« »Sie beschmutzt...«, fügte Dusia hinzu. »Und missbraucht!«, ergänzte Raisa.
»Ich habe schon immer gewusst, dass er ein Ungläubiger ist!« Axinja flüsterte Tatiana heimlich zu: »Nur der Tod wird ihn davon abhalten, zu dir zurückzukommen.« Tatiana dankte ihr im Stillen für ihr Mitgefühl und schlug die Augen auf. Aber genau davor habe ich Angst, dachte sie. Die alten Frauen überredeten Tatiana, zu ihnen zurückzukehren. Vova half ihr, die Truhe und die Nähmaschine zu Nairas Haus zu bringen.
Zunächst hangelte Tatiana sich mühsam von einem Tag zum nächsten. Es gab keinen Trost für sie. Alles erinnerte sie an Alexander.
Sie hatte schon oft diese Trennungen durchgemacht.
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