Die Liebenden von Leningrad
»Erklär ihm, dass ihr beide mich aus der Sowjetunion hinausbringen müsst. Etwas anderes habe ich nie gewollt. Ich werde sehr nervös bei dem Gedanken, dass ihr beide hier verschwindet und mich zurücklasst. Mitten im Krieg. Verstehst du das?«
Alexander und Tatiana schwiegen und blickten ihn an. »Tania, ich bin doch auf eurer Seite! Ich will nicht, dass euch etwas zustößt. Im Gegenteil.« Dimitri lächelte. »Ich wünsche euch nur das Allerbeste. Es ist in diesen Zeiten so schwer; sein Glück zu finden, ich habe es schließlich selbst versucht. Dass es euch beiden gelungen ist, das ist... na ja, wie ein Wunder. Aber jetzt will ich auch eine Chance und ihr müsst mir dabei helfen.« »Selbstschutz«, sagte Alexander, »ist ein unveräußerliches Recht.« »Was?« »Ach, nichts.«
Tatiana warf ein: »Dimitri, ich weiß wirklich nicht, was das mit mir zu tun haben soll.«
»Aber liebste Taneschka, es hat alles nur mit dir zu tun! Es sei denn natürlich, du hättest vor, mit diesem geschniegelten, gesunden amerikanischen Arzt durchzubrennen und nicht mit deinem verwundeten Ehemann. Du hast doch schon Pläne gemacht, Sayers zu begleiten, wenn er nach Helsinki zurückkehrt, oder?« Niemand antwortete ihm.
»Ich habe keine Zeit für diese Spielchen«, sagte Dimitri kalt und richtete sich auf. »Tania, ich rede mit dir. Entweder nehmt ihr mich mit oder ich muss leider dafür sorgen, dass Alexander hier bei mir in der Sowjetunion bleibt.«
Tatiana blieb unbeeindruckt auf ihrem Stuhl sitzen und hob fragend die Schultern. Alexander drückte ihr so fest die Hand, dass sie leise aufschrie.
»Da!«, rief Dimitri aus. »Genau darauf habe ich gewartet. Sie schafft es immer, dich zu überzeugen. Tatiana, wie gelingt dir das nur? Dein Mann, der die Dinge nicht so klar sieht wie du, kämpft immer gegen dich an, aber letztendlich muss er nachgeben, weil es keine andere Möglichkeit gibt.« Alexander und Tatiana schwiegen. Dimitri verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich gehe hier nicht weg, bevor ihr mir nicht eine Antwort gegeben habt. Tania, was sagst du? Alexander ist seit sechs Jahren mein Freund. Ich mag euch beide. Ich möchte eigentlich keinen Ärger machen.« Dimitri verdrehte die Augen. »Glaubt mir, ich hasse Ärger. Ich möchte doch nur ein wenig an eurem Plan teilhaben. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Nur ein winziges Stückchen. Kommst du dir nicht selbstsüchtig vor, Tania, wenn du mir die Chance auf ein neues Leben verwehren willst?«
Gequält sagte Alexander: »Tania, hör nicht auf ihn. Dimitri, lass sie in Ruhe. Das geht nur uns beide etwas an, sie hat damit gar nichts zu tun.« Tatiana streichelte Alexanders Hand und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Alexander ließ es nicht zu. »Schweig, Tatiana.«
Dimitri blickte sie auffordernd an. »Sag ruhig, was du zu sagen hast, Tatiana. Aber beeil dich. Ich habe nicht viel Zeit.« Tatiana stand auf. »Wehe dem«, sagte sie zu Dimitri, »der allein ist, wenn er fällt. Denn es wird niemand ihn aufheben.« Dimitri zuckte mit den Schultern. »Soll das heißen, dass du ...« Er brach ab. »Was? Was sagst du da? Soll das ein Ja sein oder ein Nein?«
Tatiana hielt Alexanders Hand fest und erwiderte: »Mein Mann hat dir ein Versprechen gegeben. Und er hält immer sein Wort.«
»Ja!«, rief Dimitri aus und wollte sie umarmen. Sie wich vor ihm zurück. Leise fügte sie hinzu: »Dimitri, ich erläutere dir unsere Pläne später. Aber du musst in kürzester Zeit bereit sein. Verstehst du?«
»Ich bin jetzt schon bereit«, erwiderte Dimitri aufgeregt. »Ich möchte so schnell wie möglich aufbrechen.« Er streckte Alexander die Hand entgegen, aber dieser wandte sich ab. Er hatte nicht vor, Dimitri die Hand zu reichen.
Tatiana war es, die ihre Hände zusammenlegte. Mit leicht bebender Stimme sagte sie: »Alles wird gut werden.« Kurz darauf ging Dimitri.
»Shura, was hätten wir denn tun sollen?«, fragte Tatiana, während sie ihm sein Essen gab. »Es wird schon funktionieren. Wir schaffen das schon.« Alexander blickte sie schweigend an.
Sie zuckte mit den Schultern. »Er will nur überleben, das hast du selbst einmal gesagt. Und wenn wir ihn mitnehmen, wird er uns schon in Ruhe lassen. Sieh zu, dass du schnell gesund wirst.«
»Lass uns bald fahren, Tania«, erwiderte Alexander. »Sag Dr. Sayers, dass ich jederzeit bereit bin, aufzubrechen.«
Ein Tag verging. Und wieder kam Dimitri. Er setzte sich auf den Stuhl neben Alexanders Bett, doch
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