Die Liebenden von Leningrad
ist das nicht unglaublich! Da sind wir drei wieder zusammen! Jetzt fehlt nur noch Dascha!«
Alexander und Tatiana erwiderten nichts.
»Tania, wie steht es mit den Sterbenden? Ich habe dir noch ein paar Laken mitgebracht.«
»Danke, Dimitri.«
»Gern geschehen. Ach, Alexander, und hier sind ein paar Zigaretten für dich. Mach dir wegen der Bezahlung keine Sorgen, du hast wahrscheinlich gar kein Geld hier. Da fällt mir ein, ich könnte es dir ja holen ...« »Das brauchst du nicht, Dimitri.«
»Es wäre kein Problem.« Er stand am Fußende von Alexanders Bett und blickte von Alexander zu Tatiana. »Tania, was machst du hier eigentlich auf der Intensivstation?« »Nun, ich kümmere mich auch um die Patienten, die so weit genesen sind, dass man sie hierher verlegen konnte. Leo in Bett dreißig zum Beispiel. Er fragt ständig nach mir, seit er hier ist.« Dimitri lächelte. »Tania, nicht nur Leo. Alle fragen nach dir.« Tatiana erwiderte nichts und auch Alexander, der sich auf sein Bett gesetzt hatte, schwieg. Dimitri musterte sie. »Schön, euch beide zu sehen. Alexander, ich komme dich morgen wieder besuchen, in Ordnung? Tania, bringst du mich hinaus?«
»Nein, ich muss Alexanders Verband wechseln.« »Oh. Ich meine ja nur, weil Dr. Sayers dich sucht. >Wo ist meine Tania?<, hat er gesagt.« Dimitri lächelte herzlich. »Genau das waren seine Worte. Du hast dich sehr mit ihm angefreundet, nicht wahr?« Er zog fragend die Augenbrauen hoch. Tatiana reagierte nicht. Sie drehte sich zu Alexander um und sagte: »Leg dich bitte hin.«
»Tania, hast du gehört, was ich gesagt habe?«, beharrte Dimitri.
»Ja«, erwiderte Tatiana, ohne aufzublicken. »Wenn du Dr. Sayers siehst, sag ihm bitte, dass ich gleich zu ihm komme.« Als Dimitri gegangen war, blickten Alexander und Tatiana einander an. »Was denkst du?«, fragte er.
»Dass ich deinen Verband wechseln und dann gehen muss. Leg dich hin.«
»Möchtest du wissen, was ich denke?« »Absolut nicht«, erwiderte sie.
Alexander legte sich auf den Bauch und sagte: »Tania, wo ist eigentlich der Rucksack mit meinen Sachen?« »Ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Warum? Wozu brauchst du ihn denn?«
»Ich hatte ihn auf dem Rücken, als ich getroffen wurde.«
»Als wir dich abholten, war er nicht mehr auf deinem Rücken.
Wahrscheinlich ist er verloren gegangen, Liebster.«
»Ja ...«, sagte Alexander nachdenklich. »Aber für gewöhnlich sammelt die Nachhut Überreste auf, wenn die Schlacht vorüber ist. Kannst du mal nachforschen?«
»Natürlich«, erwiderte sie. »Ich frage Oberst Stepanow.«
Als Tatiana später an diesem Abend an Alexanders Bett saß, sagte er zu ihr: »Tatiana, du musst mir versprechen, dass du auch dann das Land verlässt, wenn mir etwas zustößt.« Er zog sie an sich.
»Sei nicht albern. Was soll dir denn zustoßen?« Tatiana sah ihn bei diesen Worten nicht an. »Versuchst du wieder; besonders tapfer zu sein?« »Überhaupt nicht«, erwiderte sie. »Sobald es dir besser geht, fahren wir. Dr. Sayers ist bereit. Er brennt darauf, endlich wegzukommen. Ihm gefällt es hier überhaupt nicht. Also, was kann schon passieren? Ich lasse nicht zu, dass sie dich wieder an die Front schicken. Und ohne dich fahre ich nicht.« »Das meine ich ja gerade. Natürlich fährst du auch ohne mich.« »Natürlich nicht.«
Alexander ergriff ihre Hand. »Hör mir mal zu ...« Tatiana wandte den Kopf ab. »Ich will dir nicht zuhören. Mach mir doch keine Angst, Alexander. Ich versuche doch nur, tapfer zu sein. Bitte.«
»Tania, vieles kann schief gehen. Du weißt, dass immer die Gefahr besteht, dass sie mich verhaften.« Sie nickte. »Aber wenn Mechlis' Schergen dich verhaften, werde ich warten.«
»Worauf?«, rief er frustriert aus.
Sie ergriff seine Hände und drückte einen Kuss darauf. »Auf dich.«
»Aber wo?«, fragte er.
»In Leningrad, in meiner Wohnung. Stanislaw und Inga sind weg. Ich habe zwei Zimmer und kann dort mit unserem Kind auf dich warten.«
»Die Kommandantur wird dir den Flur und das Zimmer mit dem Ofen wegnehmen.«
»Dann warte ich eben in dem anderen Zimmer.« »Wie lange?«
Tatiana blickte zu den schlafenden Patienten. Im Krankensaal war es still und man hörte nur leises Atmen. »Ich werde so lange warten, wie es nötig ist«, erwiderte sie. »Ach, um Gottes willen! Willst du als alte Jungfer in einem kalten Zimmer versauern, statt ein besseres Leben zu führen?« »Ja«, sagte sie resolut. »Für mich kommt ein anderes Leben ohne
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