Die Liebenden von Leningrad
Tatiana mitkommt.« »Ich muss an mich denken, Alexander. Ich kann nicht meine Zeit damit verschwenden, deine Frau zu beschützen.« »Du hast doch immer nur an dich selbst gedacht!« »Im Gegensatz zu dir, was?« Dimitri lachte. »Nun, Tatiana zumindest hat dir die Hand entgegengestreckt.« »Um dich zu schützen.«
»Richtig. Aber das ändert nichts an ihrer Geste. Ergreife ihre Hand und du erlangst das, was dir am wichtigsten ist - ein freies Leben ohne Krieg. Dank ihr! Keiner von uns wird untergehen - dank ihr!«
»Wir werden alle umkommen - wegen ihr. Ich weiß es ganz genau - wenn sie mitkommt, werden wir alle sterben«, sagte Dimitri kalt. »Davon bin ich überzeugt.« Alexander schwieg. Alles um ihn herum wurde dunkel. »Alexander, sieh es doch einmal so: Wenn du an der Front gefallen oder da draußen auf dem Eis gestorben wärst, dann hätte sie ja auch irgendwie in der Sowjetunion weiterleben müssen, oder etwa nicht? Nun, das ist doch das Gleiche.« »Das ist etwas völlig anderes.« »Für sie nicht. So oder so lebt sie ohne dich weiter.« »Nein.«
Dimitri kniff die Augen zusammen. »Willst du mich eigentlich absichtlich nicht verstehen? Sie kann nicht mitkommen.« Alexander lachte. »Na endlich! Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauert, bis du wieder deine sinnlosen Drohungen ausstößt. Du sagst also, sie kann nicht mitkommen? Dann sage ich dir auch etwas: Ich gehe auch nicht. Die ganze Sache wird abgeblasen. Vorbei. Dr. Sayers fährt nach Helsinki. In drei Tagen gehe ich zurück an die Front. Tania kehrt nach Leningrad zurück. Niemand von uns flieht. Du bist entlassen, Gefreiter. Das Gespräch ist beendet.«
Dimitri blickte Alexander überrascht an. »Soll das heißen, ohne sie gehst du nicht?« »Hast du mir nicht zugehört?«
»Ich verstehe.« Dimitri schwieg und rieb sich die Hände. Dann stützte er sich auf Alexanders Bett. »Du unterschätzt mich, Alexander. Du willst also nicht vernünftig sein. Na gut. Ich kann auch mit Tania reden und ihr die Situation erklären. Sie ist viel vernünftiger als du. Wenn Tania sieht, dass ihr Mann in großer Gefahr ist, dann wird sie sicher von sich aus anbieten, zurückzubleiben ...« Dimitri konnte seinen Satz nicht mehr zu Ende bringen.
Alexander packte ihn am Arm. Dimitri schrie auf und versuchte rasch, seinen anderen Arm wegzuziehen, aber er war zu langsam.
»Hör mir gut zu«, sagte Alexander, wobei er Dimitris Handgelenke eisern umklammert hielt, »es ist mir ganz egal, ob du mit Tania, Stepanow, Mechlis oder der ganzen Sowjetunion redest. Erzähl ihnen alles! Ich gehe nicht ohne sie. Wenn sie bleibt, bleibe ich auch!« Und dann drückte er die Finger zusammen und brach Dimitri den Unterarm. Dimitri schrie auf, aber Alexander ließ nicht los. »Du unterschätzt mich, du verdammter Scheißkerl!« Immer wieder drückte er den Unterarm zusammen, bis der Knochen mehrfach gebrochen die Haut durchbohrte.
Dimitri schrie wie am Spieß. Alexander ballte die Faust und die Wucht des Schlages hätte Dimitris Nase zerquetscht, wenn sich nicht ein Pfleger auf ihn gestürzt und ihn festgehalten hätte. Keuchend ließ Alexander Dimitri los, der bewegungslos zu Boden sank.
»Runter von mir«, befahl Alexander dem fassungslosen Pfleger. Er hatte sich die Infusion aus der Vene gerissen und jetzt lief ihm das Blut den Arm herunter.
»Was ist hier denn los?« Eine Krankenschwester eilte herbei. »Was soll das? Der Gefreite kommt Sie besuchen - und was tun Sie?«
»Lassen Sie ihn das nächste Mal einfach nicht herein«, erwiderte Alexander und stand auf.
»Gehen Sie sofort wieder ins Bett! Sie dürfen unter keinen Umständen aufstehen. Warten Sie nur, bis Ina zurückkommt. Oh Gott, warum passiert so etwas nur in meiner Schicht?« Eine halbe Stunde lang herrschte Tumult um Alexander herum, dann hatte man den bewusstlosen Dimitri hinausgetragen und alles aufgewischt.
Alexander lag bewegungslos im Bett. Ihm war klar, dass er Dimitri mit bloßen Händen umgebracht hätte, wenn man ihn nicht davon abgehalten hätte.
Alexander schlief. Als er wieder aufwachte, war früher Abend. An der Tür stand Ina und sprach mit drei Männern in Zivilkleidung. Das hat ja nicht lange gedauert, dachte Alexander. Bewegungslos blieb er mit dem Rucksack auf dem Schoß liegen. Mit beiden Händen tastete er nach dem weißen Kleid mit den roten Rosen. Er wusste jetzt, welchen Preis er für Tatiana bezahlen wollte.
Am späten Abend kam Oberst Stepanow zu ihm. Er war aschfahl
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