Die Liebenden von Leningrad
weniger Sorgen als ...«
»Du machst dir also Sorgen um Tatiana? Das freut mich.« »Ich mache mir Sorgen darüber, was sie tun wird.« »Ah, das ist ein feiner Unterschied.«
»Ich mache mir Sorgen darüber, dass du vielleicht einen dummen Fehler begehen könntest, weil du dich die ganze Zeit nur um sie kümmerst. Sie wird uns aufhalten und du wirst dir jeden Schritt zweimal überlegen. Der Kontrollpunkt im Wald bei Lisiy Nos ist nur unterbesetzt, nicht unbesetzt.« »Da hast du Recht. Wir müssen vielleicht für unsere Freiheit kämpfen.«
»Also stimmst du mir zu?« »Nein.«
»Alexander, hör mir zu. Das ist unsere letzte Chance, Es ist ein perfekter Plan, er könnte so gut funktionieren! Sie ist nicht in der Lage dazu, mitzumachen. Sei doch nicht so dumm!« Dimitri lächelte. »Darauf haben wir doch gewartet! Das Ziel ist zum Greifen nah.«
»Ja«, erwiderte Alexander, »das ist es.« Er schloss kurz die Augen. Am liebsten hätte er sie gar nicht mehr geöffnet. »Also hör mir zu ...« »Nein.«
»Doch, du wirst mir zuhören!«, rief Dimitri aus. »Wir beide haben das seit langem geplant. Jetzt ist unsere Chance da. Ich will ja gar nicht sagen, dass wir Tatiana für alle Zeit in der Sowjetunion zurücklassen müssen. Keineswegs. Nur zuerst einmal müssen wir beide heil und lebendig hier herauskommen. Tot nutzt du ihr nichts, Alexander. Außerdem, wenn wir uns in den Sümpfen verstecken ...«
»Wir fahren in einem Lastwagen nach Helsinki. Von welchen Sümpfen redest du?«
»Wenn es nötig sein sollte, meine ich ja nur. Drei Männer und ein zartes Mädchen, das sind ganz schön viele Menschen. Wir bitten ja geradezu darum, erwischt zu werden! Wenn Sayers etwas passieren sollte, wenn er getötet wird ...« »Warum sollte denn Sayers getötet werden? Er ist Arzt beim Roten Kreuz.« Alexander musterte Dimitri eindringlich. »Ach, ich weiß nicht. Aber wenn wir über die Ostsee müssen -über das Eis, zu Fuß oder in Konvoilastern -, nun, zwei Männer können es schaffen, aber drei Personen? Wir fallen viel zu sehr auf. Und Tatiana wird nicht durchhalten.« »Sie wird es schon schaffen«, sagte Alexander, aber sein Herz brannte vor Ungewissheit. Die Gefahren, auf die Dimitri hinwies, verstärkten Alexanders eigene Ängste derart, dass es ihm den Magen zusammenschnürte. »Es mag alles stimmen, was du sagst«, fuhr er mühsam fort, »aber du vergisst zwei entscheidende Dinge. Was, glaubst du, passiert mit ihr; wenn man merkt, dass ich nicht mehr da bin?«
»Mit ihr? Gar nichts! Sie heißt doch immer noch Tatiana Metanowa.« Dimitri blickte ihn verschlagen an. »Du hast deine Heirat sehr geschickt geheim gehalten. Das zahlt sich jetzt aus.« »Aber ihr nutzt es nichts.« »Es weiß doch niemand.«
»Du irrst dich. Ich weiß es.« Alexander biss die Zähne zusammen, um nicht aufzustöhnen.
»Ja, aber du bist dann in Amerika. Du bist wieder zu Hause.« Gepresst erwiderte Alexander; »Sie kann nicht zurückbleiben.« »Doch. Es wird ihr schon gut gehen. Alexander, sie kennt doch gar kein anderes Leben als dieses hier ...« »Du auch nicht!«
Ungerührt fuhr Dimitri fort: »Sie wird so weiterleben, als hätte es dich nie gegeben ...« »Wie denn?«
Dimitri lachte. »Ich weiß ja, dass du sehr von dir eingenommen bist, aber sie wird schon über dich hinwegkommen. Das haben andere auch geschafft. Wahrscheinlich hat sie dich sehr gern -aber mit der Zeit wird sie jemand anderen kennen lernen und dich vergessen.«
»Hör auf, solch einen Unsinn zu reden! Man wird sie verhaften. Die Frau eines Deserteurs! Und das weißt du auch. Also erzähl nicht solch einen Unfug!« »Es weiß doch keiner, wer sie ist!« »Du hast es ja auch herausgefunden.«
Ohne auf Alexanders Worte einzugehen, fuhr Dimitri fort: »Tatiana Metanowa wird ins Grecheskij-Krankenhaus zurückgehen und ihr Leben in Leningrad wieder aufnehmen. Und wenn du erst einmal in Amerika bist und sie immer noch haben willst, wenn der Krieg vorbei ist, dann schickst du ihr eine Einladung und bittest sie, zu einer kranken oder sterbenden Tante nach Boston zu kommen. Stell dir das Ganze doch als Trennung auf Zeit vor ...«
Alexander rieb sich den Nasenrücken. Kann nicht jemand kommen und mich aus dieser Hölle befreien?, fragte er sich verzweifelt. »Dimitri«, sagte er, »du hast zum zweiten Mal in deinem Leben die Chance, etwas Anständiges zu tun - ergreif sie. Das erste Mal war, als du mir geholfen hast, meinen Vater zu sehen. Dir kann es doch egal sein, ob
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