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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Ausgebürgerten aus England, Italien und Belgien.
    Harold und Jane bekamen ihre neuen sowjetischen Pässe und wurden so Staatsbürger der Sowjetunion. Da Alexander noch zu jung war, bekam er seinen Pass erst, als er sechzehn war und für den Militärdienst gemustert wurde.
    Alexander ging zur Schule, lernte Russisch und fand zahlreiche Freunde. Langsam gewöhnte er sich an sein neues Leben. 1935 erklärte man den Barringtons, dass sie ihre mietfreie Wohnung verlassen und ab sofort für sich selbst sorgen müssten. Die sowjetische Regierung könne sie nicht weiter unterstützen. Das Problem war jedoch, dass in Moskau kein Zimmer zu bekommen war. Die Barringtons zogen nach Leningrad, und nachdem sie wochenlang von einem Wohnungskomitee zum anderen gewandert waren, fanden sie schließlich zwei Zimmer in einem heruntergekommenen Gebäude am Südufer der Newa. Harold bekam Arbeit in der Izhorsk-Fabrik und Jane trank immer mehr. Alexander konzentrierte sich auf die Schule. Im Mai 1936, als Alexander siebzehn wurde, änderte sich plötzlich alles.
    Jane und Harold Barrington wurden vollkommen unerwartet verhaftet - aber das war normal in der Sowjetunion. Eines Tages kam Jane vom Einkaufen nicht mehr nach Hause. Harold wollte Alexander unbedingt eine Nachricht zukommen lassen, aber sie hatten sich zwei Tage zuvor gestritten und sich seitdem nicht mehr gesehen.
    Harold wusste nicht, dass die Kommissare für Innere Angelegenheiten bereits bei Alexander gewesen waren. Vier Tage nach dem Verschwinden seiner Frau klopfte es um drei Uhr morgens an Harolds Tür.
    Ein Mann namens Leonid Slonko verhörte Jane. » Was Sie doch für lustige Sachen sagen, Genossin Barrington«, sagte er zynisch. »Nur habe ich leider geahnt, dass Sie genau das sagen würden.«
    »Sie kennen mich doch gar nicht«, erwiderte Jane. »Ich kenne Tausende wie Sie.«
    Ach tatsächlich, Tausende, hätte sie am liebsten geantwortet. Kommen wirklich Tausende von uns aus den Vereinigten Staaten?
    »Ja, Tausende«, bestätigte Slonko, als könne er ihre Gedanken lesen. »Sie müssen Ihr bourgeoises Gehabe ablegen und uns als veränderte sowjetische Frau gegenübertreten und nicht als Amerikanerin.«
    »Ich habe mein bourgeoises Gehabe längst abgelegt«, erwiderte Jane. »Ich habe mein Heim, meinen Job, meine Freunde, mein ganzes Leben hinter mir gelassen. Ich bin hierher gekommen und habe ein neues Leben begonnen, weil ich daran glaubte. Sie hätten mich nur nicht betrügen dürfen.« »Wieso haben wir Sie betrogen? Indem wir Sie ernährt, eingekleidet, Ihnen Arbeit und eine Wohnung gegeben haben?« »Und warum bin ich dann hier?«, fragte sie. »Weil Sie uns betrogen haben«, sagte Slonko. »Sie haben vor ein paar Wochen Ihre Verachtung für unser Land kundgetan, indem Sie bei der amerikanischen Botschaft in Moskau anriefen. Darf ich Sie fragen, Genossin Barrington, ob Sie vielleicht vergessen haben, dass Sie keine amerikanische Staatsbürgerin mehr sind? Den Amerikanern ist es gleichgültig, ob Sie leben oder tot sind.« Slonko lachte. »Wie dumm ihr alle seid! Ihr kommt aus euren Ländern hierher und beklagt euch über deren Regierungen, ihre Sitten, ihre Lebensart. Doch beim ersten Problem nehmt ihr sofort wieder Kontakt zu ihnen auf.« Slonko schlug auf den Tisch. »Seien Sie versichert, Genossin, dass sich die amerikanische Regierung nicht einen Deut um Sie schert. Sie hat Sie völlig vergessen. Die Akte über Sie, Ihren Mann und Ihren Sohn wurde versiegelt und befindet sich in einem Keller. Sie gehören jetzt uns.«
    Es stimmte. Jane war zwei Wochen vor ihrer Verhaftung zur amerikanischen Botschaft in Moskau gegangen. Sie war mit Alexander mit dem Zug dorthin gefahren, und offensichtlich war man ihr gefolgt. In der Botschaft hatte man sie eisig empfangen: Die Amerikaner hatten kein Interesse daran, ihr oder ihrem Sohn zu helfen. »Ist man mir gefolgt?«, fragte sie Slonko. »Was glauben Sie?«, fragte er. »Sie haben gezeigt, dass Ihre Treue auf schwachen Füßen steht. Wir haben recht damit getan, Sie zu beschatten. Wir hatten Recht, Ihnen nicht zu trauen. Und jetzt werden Sie nach Artikel 18 der Sowjetischen Verfassung wegen Verrat angeklagt. Auch das wissen Sie. Sie wissen, was Ihnen bevorsteht.«
    »Ja«, erwiderte Jane. »Ich wünschte nur, es würde schnell vonstatten gehen.«
    »Wozu sollte das gut sein?« Slonko war ein großer, imposanter Mann fortgeschrittenen Alters, der sehr kräftig wirkte. »Sie können sich doch denken, welchen Eindruck Sie

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