Die Liebenden von Leningrad
an diesem Abend im Bett lag, mit dem Gesicht zur Wand gedreht, nahm sie es sich fest vor. Aber dann griff sie nach dem Buch, das Alexander ihr geschenkt hatte. Sie hatte es zwischen Bett und Wand sorgfältig versteckt. Vielleicht sollte sie es ihm besser an einem anderen Tag sagen. Wenn er ihr etwas auf Englisch vorgetragen hatte, wenn er ihr vom Krieg erzählt hatte, wenn er ...
In der Nacht gab es wieder einmal Fliegeralarm. Tatiana wurde wach, als Dascha lange danach erst nach Hause kam und ins Bett schlüpfte.
Am Montag rief Krasenko Tatiana in sein Büro. Er teilte ihr mit, dass sie zwar gute Arbeit leiste, dass sie jedoch ab sofort in die Panzerproduktion versetzt würde. Er habe aus Moskau erfahren, dass in Kirow fortan 180 Panzer pro Monat produziert werden müssten, ganz gleich, wie viele Arbeiter zur Verfügung standen.
»Und wer wird die Flammenwerfer herstellen?« »Das wird sich schon finden«, antwortete Krasenko und zündete sich eine Zigarette an. »Du bist ein nettes Mädchen, Tania. Geh und iss in der Kantine eine Suppe.« »Glauben Sie, dass die Freiwilligen mich nehmen würden?«, fragte sie ihn. »Nein!«
»Ich habe gehört, dass sich schon fünfzehntausend Personen von Kirow gemeldet haben, um die Gräben an der Front bei Luga auszuheben. Stimmt das?«
»Das hat dich nicht zu interessieren. Sie nehmen dich nicht. Und jetzt verschwinde.«
»Ist Luga in Gefahr?« Pascha befand sich in der Nähe von Luga.
»Nein«, erwiderte Krasenko. »Die Deutschen sind noch weit entfernt. Es handelt sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme. Und jetzt geh endlich!«
In der Panzerproduktion arbeiteten viel mehr Leute als in der Flammenwerferherstellung und die Arbeits schritte waren viel differenzierter. Tatiana hatte die Aufgabe, die Kolben in die Zylinder zu stecken, die unter dem Dieselmotor eines Panzers angebracht waren.
Die Fabrikhalle hatte die Größe eines Flugzeughangars. Es war grau und dunkel darin.
Am Ende des Tages war der Panzer fertig, die Ketten waren aufgezogen und das Gehäuse war fest verschraubt. Im Inneren unterschied er sich nicht von anderen schweren Fahrzeugen. Es gab allerdings noch keine Instrumente, Armaturen oder gar Waffen. Aber anders als in ihrer alten Abteilung hatte Tatiana hier das Gefühl, dass sie etwas geleistet hatte, beinahe so, als habe sie den KV-1 ganz allein gebaut. Krasenko hatte ihr am Nachmittag erzählt, dass die Deutschen nicht in der Lage seien, einen so wendigen, gut ausgerüsteten Panzer zu bauen. »Tania, du hast hervorragende Arbeit geleistet. Vielleicht solltest du Mechanikerin werden, wenn du erwachsen bist«, schlug er ihr begeistert vor. Tatiana war stolz auf dieses Kompliment.
Um acht Uhr am Abend lief Tatiana mit sauber gewaschenen Händen und sorgfältig gebürstetem Haar durch das Fabriktor. Eine diffuse Angst ergriff sie, dass Alexander heute nicht auf sie warten würde.
Aber er stand da. Er blickte ihr jedoch sehr ernst entgegen. Außer Atem hielt Tatiana vor ihm inne. Am liebsten hätte sie ihm gezeigt, wie glücklich sie über seine Anwesenheit war. Jemand rief ihren Namen. Zögernd drehte Tatiana sich um. Es war Ilya, ein sechzehnjähriger Junge, der neben ihr am Fließband arbeitete. »Nimmst du den Bus?«, fragte er und betrachtete Alexander, der schweigend daneben stand. »Nein, Ilya. Wir sehen uns morgen.« Tatiana überquerte mit Alexander die Straße. »Wer war das denn?«, fragte Alexander. Verwirrt blickte Tatiana ihn an. »Wer? Ach, nur ein Junge, mit dem ich zusammen arbeite.« »Belästigt er dich?«
»Wie bitte? Nein, nein.« In Wahrheit ging Ilya ihr tatsächlich ein wenig auf die Nerven. »Ich habe heute in einer neuen Abteilung angefangen. Wir bauen Panzer für die Front in Luga«, erzählte sie stolz.
Nickend fragte er: »Wie schnell könnt ihr sie bauen?« »In meiner Abteilung wird alle zwei Tage einer fertig«, antwortete sie. »Das ist gut, oder?«
»Um den Männern an der Front in Luga tatsächlich zu helfen, müsstet ihr zehn pro Tag bauen.«
Sie blickte ihn prüfend an. »Geht es dir gut?«
»Ja.«
»Was ist dann los?« »Nichts.«
Die Menschen standen rauchend an der Straßenbahnhaltestelle. Niemand sagte etwas. »Möchtest du nach Hause laufen?«, fragte Tatiana schüchtern.
Alexander schüttelte den Kopf. »Ich hatte den ganzen Tag über Militärübungen.«
Neckend erwiderte Tatiana: »Ich dachte, du seist schon beim Militär.«
»Bin ich auch. Die Übungen waren nicht für mich, sondern für die anderen.
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