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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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gekommen ist. Vor dem letzten Sonntag, als er uns mit Dima besucht hat, habe ich ihn nicht dazu bringen können.« Tatiana hätte sie am liebsten darauf hingewiesen, dass Alexander nicht wegen Dascha zu Besuch gekommen war, aber sie sagte natürlich nichts.
    »Ich glaube, er mag unsere Familie. Wusstest du, dass er aus Krasnodar ist? Er war nicht mehr dort, seit er in die Armee eingetreten ist. Er hat keine Geschwister und über seine Eltern redet er nicht. Er ist... Ich kann es nicht erklären. So verschlossen. Er spricht nicht gern über sich.« Sie schwieg. »Mich fragt er allerdings immer aus.«
    »Wirklich?«, war alles, was Tatiana herausbrachte. »Er hat gesagt, er wünschte, es wäre kein Krieg.« »Nun«, erwiderte Tatiana, »das wünschen wir alle.« »Aber das klingt doch hoffnungsvoll, oder nicht? So, als ob mit ihm ein besseres Leben möglich sei, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist. Tania«, flüsterte Dascha in Tatianas Haare. »Magst du Dimitri?«
    Tatiana hatte kaum Gewalt über ihre Stimme. »Ich habe ihn ganz gern«, flüsterte sie. »Er mag dich wirklich.« »Nein, das stimmt nicht.«
    »Doch. Du verstehst noch nichts von diesen Dingen.«
    »Ich verstehe schon etwas davon, und ich weiß, dass er mich im Grunde nicht gern hat.«
    »Möchtest du mit mir reden, mich etwas fragen?« »Nein!«
    Gekränkt erwiderte Dascha: »Tania, du darfst nicht so schüchtern sein. Du bist schließlich schon siebzehn. Warum kannst du denn nicht ein bisschen nachgeben?« »Dimitri gegenüber?«, flüsterte Tatiana. »Niemals!« Kurz bevor sie einschlief, wurde Tatiana klar, dass sie den Krieg viel weniger fürchtete als die Verwicklungen in Liebesdingen.

    Am Samstag ging Tatiana in die Leningrader Bibliothek und lieh sich ein Russisch-Englisches Wörterbuch aus. Mit dem seltsamen Alphabet war sie schon ein wenig vertraut, da sie es in der Schule gelernt hatte. Fast den ganzen Nachmittag über versuchte sie, ein paar der Sätze laut zu sprechen. Die Ths, die Ws und die weichen Rs waren sehr schwierig. Am Sonntag kam Alexander wieder vorbei. Er nagelte Holzleisten an ihre Fenster, damit sie bei möglichen Bombendetonationen nicht zerbrachen, und verklebte sie zur Verdunklung mit Papierstreifen. »Alle müssen ihre Fenster sichern«, sagte er. »Bald werden Patrouillen in ganz Leningrad unterwegs sein, um das zu kontrollieren. Es gibt einfach keine neuen Glasscheiben.«
    Die Metanows sahen ihm interessiert zu. Mama lobte ihn, weil er so schnell und gut arbeitete, und wollte wissen, wo er das gelernt habe.
    »Aber Mama, er ist doch in der Roten Armee«, sagte Dascha unwirsch.
    »Haben sie dir in der Roten Armee beigebracht, sicher auf der Fensterbank zu stehen, Alexander?«, fragte Tatiana. »Ach, halt doch den Mund, Tania!«, rief Dascha lachend. Alexander lachte ebenfalls. Sein Lachen jedoch war warm und freundlich.
    »Was für ein Muster hast du da auf unsere Fenster geklebt?«, fragte Mama.
    Tatiana, Dascha, Mama und Babuschka betrachteten die weißen Papierstreifen auf der Glasscheibe. Alexanders Werk sah aus wie ein Baum. Ein dicker Stamm, leicht zu einer Seite geneigt, mit langen schmalen Blättern, die aus der Spitze herauswuchsen.
    »Was ist das, junger Mann?«, fragte Babuschka energisch. Alexander antwortete: »Das, Anna Lvovna, ist eine Palme.« »Eine was?«, fragte Dascha, die neben ihm stand. Musste sie immer so dicht neben ihm stehen? »Eine Palme.«
    Tatiana beobachtete die anderen von der Tür aus. »Eine Palme?«, fragte Dascha.
    »Es ist ein tropischer Baum. Er wächst zum Beispiel in Nord-und Südamerika und im Südpazifik.«
    »Hmm«, brummte Mama. »Eine seltsame Wahl für unsere Fenster, findet ihr nicht?«
    »Besser als irgendein blödes Zickzack-Muster«, murmelte Tatiana.
    Alexander grinste ihr zu und sie antwortete mit einem scheuen Lächeln.
    Später gingen Alexander und Dascha aus und ließen Tatiana bei den übrigen schlecht gelaunten und erschöpften Familienmitgliedern zurück. Also ging Tatiana abermals in die Bibliothek und verbrachte Stunden damit, sich die seltsamen englischen Laute vorzusprechen. Sie fand alles an dieser Sprache äußerst schwierig: sie zu sprechen, zu schreiben und zu lesen. Wenn sie Alexander das nächste Mal sah, würde sie ihn bitten, ein paar Wörter zu artikulieren, damit sie hören konnte, wie sie klangen. Sie dachte bereits an das nächste Wiedersehen, als sei es selbstverständlich. Vielleicht sollte sie ihn morgen bitten, sie nicht mehr abzuholen. Als sie

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