Die Liebenden von Leningrad
seine Hilfe. Tatiana hatte keine Angst vor Krasenko, sie war sicher, dass er sie mochte. »Sergei Andrejewitsch, Sie können mich nicht aufhalten. Wie sieht es denn aus, wenn Sie Freiwillige davon abhalten, ihrer Heimat und der Roten Armee zur Seite zu stehen?«
Krasenko stieß einen schweren Seufzer aus. Schließlich stellte er den beiden Passierscheine aus, damit sie Kirow verlassen konnten, und stempelte ihre Pässe. Als sie sich zum Gehen wandten, stand er auf und wünschte ihnen Glück. Tatiana hätte ihm am liebsten erzählt, dass sie ihren Bruder finden wollte. Aber sie befürchtete, dass er ihr davon abriet. So beließ sie es dabei, sich zu bedanken.
Die beiden Frauen begaben sich in eine dunkle Halle, in der sie nach einer ärztlichen Untersuchung mit Hacken und Schaufeln ausgestattet wurden. Die Geräte waren sehr schwer, wie Tatiana feststellte. Schließlich wurden sie mit dem Bus zum Warschauer Bahnhof gebracht, wo die militärischen Sondertransporte nach Luga abfuhren.
Tatiana fragte sich, ob es sich dabei wohl um gepanzerte Militärlastwagen handelte, wie sie sie an der Eremitage gesehen hatte, aber es waren nur einfache Lastwagen in Tarnfarben. Tatiana beobachtete, wie die Soldaten Kisten auf die Laster verluden, auf denen anschließend sie und vierzig weitere Personen Platz nahmen. »Was ist da drin?«, fragte sie einen der Soldaten. »Granaten«, erwiderte er grinsend. Also blieb Tatiana lieber stehen.
Sieben Lastwagen fuhren im Konvoi aus dem Warschauer Bahnhof hinaus und bogen auf die Straße nach Luga ein. In Gatschina mussten sie aussteigen und den Rest der Strecke mit einem Militärzug zurücklegen.
»Zina, wie gut, dass wir mit dem Zug fahren!«, sagte Tatiana zu ihrer Freundin. »So können wir in Tolmachewo aussteigen, nicht wahr?«
»Bist du verrückt?«, erwiderte Zina. »Wir fahren nach Luga.« »Ich weiß. Aber wir beide steigen aus und fahren dann auf einem anderen Weg nach Luga.« »Nein.«
»Doch, Zina. Bitte! Ich muss doch meinen Bruder finden!« Zina starrte Tatiana ungläubig an. »Tania! Als du mir erzählt hast, dass Minsk gefallen ist, habe ich dich da gebeten, mit mir zu kommen, um meine Schwester zu suchen?«, stieß sie hervor. »Nein, aber ich glaube auch nicht, dass Tolmachewo schon an die Deutschen gefallen ist.«
»Ich steige nicht aus«, beharrte Zina. »Ich fahre nach Luga und helfe unseren Soldaten, wie alle anderen auch. Ich will nicht vom NKWD als Deserteurin erschossen werden.« »Zina!«, rief Tatiana aus. »Warum sollst du denn eine Deserteurin sein? Du bist doch eine Freiwillige! Bitte, komm mit!« »Ich steige nicht aus, das ist mein letztes Wort«, erwiderte Zina und wandte den Kopf ab. »Gut«, sagte Tatiana. »Aber ich steige aus.«
Ein Unteroffizier steckte den Kopf in Alexanders Quartier und rief, Oberst Stepanow wolle ihn sehen.
Oberst Stepanow schrieb gerade in sein Protokollbuch. Er sah noch erschöpfter aus als drei Tage zuvor. Alexander wartete geduldig. Der Oberst blickte auf und Alexander registrierte die tiefen Ringe unter seinen blauen Augen und die harten Falten um seinen Mund.
»Leutnant, es tut mir Leid, dass es eine Weile gedauert hat. Ich fürchte, ich habe keine allzu guten Nachrichten für Sie.« »Ich verstehe.«
Der Oberst blickte wieder auf sein Berichtheft.
»Die Lage in Nowgorod war verzweifelt. Als die Rote Armee bemerkte, dass die Deutschen einen nahe gelegenen Ort umzingelt hatten, haben sie die jungen Männer aus den Sommerlagern um Luga und Tolmachewo rekrutiert. Sie sollten rund um die Stadt Schützengraben ausheben. Eines dieser Lager war Dohotino. Ich habe keine Einzelheiten über einen Pawel Metanow erfahren ,..«
Der Oberst räusperte sich. »Wie Sie wissen, sind die Deutschen weitaus schneller vorgerückt als erwartet.« Alexander schien es, als hörte er einen beschönigenden Radiobericht. »Oberst? Was ist wirklich geschehen?« »Die Deutschen überrollten Nowgorod.« »Was ist mit den Jungen aus den Lagern passiert?« »Leutnant, außer dem, was ich Ihnen bereits gesagt habe, weiß ich nichts.« Er schwieg. »Wie gut haben Sie den Jungen gekannt? «
»Ich kenne seine Familie gut, Genosse Oberst.« »Es ist also ein persönliches Interesse?« Alexander blinzelte. »Ja, Genosse Oberst.« Oberst Stepanow spielte schweigend mit seinem Stift und blickte Alexander nicht an, als er schließlich sagte: »Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas Besseres mitteilen, Alexander. Die Deutschen haben Nowgorod mit ihren
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