Die Liebenden von Sotschi
Deinetwegen werden Flugzeuge entführt. Sogar die Russen machst du kopflos. Und mir willst du das nicht verzeihen?«
Er hielt sie am Ärmel fest.
»Irene …«
»Laß mich los, sage ich dir!«
»Bist du noch mit dem Iwan zusammen?«
»Wir werden heiraten.«
»Das ist doch ein Witz! Der ist doch nur in den Westen geflüchtet, weil hier die Töpfe und Pfannen voll sind! Bei 80 Prozent der Ausreißer ist das der Grund, nur spricht davon keiner, weil es nicht in die politische Landschaft paßt. Überhaupt: einen Linien-Jet zu entführen! Der Kerl hat doch eine Riesenmacke!«
»Er ist mir lieber als du im Dutzend! Er ist der anständigste Mensch der Welt.«
»Womit hat er das bewiesen?«
»Man weiß das, wenn man ihn kennt.«
»Okay! Okay! Ich will keinen Psychologie-Unterricht. Ich will nur daran erinnern, daß wir vier Jahre lang glücklich miteinander waren.«
»Weil ich blind war. Aber immerhin hat unser Verhältnis ein Gutes hervorgebracht: Ich bin sehend geworden!«
»Das höre ich gern, Hasi.«
»Laß den Blödsinn!«
Hanns Heroldt pustete in die Hände. Er trug keine Handschuhe.
»Ich konnte dich nie vergessen, Irene. Ich weiß, du lachst mich aus, wenn ich dir sage, daß du meine einzige Liebe bist! Siehst du, jetzt grinst du! Aber ich schwöre es! Du bist es! Ich habe dir damals nach Sotschi geschrieben …«
»Den Brief habe ich ungelesen zerrissen.«
»Das war ein Fehler. In ihm stand alles, was ich dir nie gesagt habe. Vielleicht wäre alles anders geworden, wenn du den Brief gelesen hättest. Dann hätte es nie diesen Russen gegeben.«
»Er war schon da!« sagte Irene abweisend. »Du kommst zu spät, Hanns.«
»Ich wollte dich sprechen, um dir zu sagen, daß ich die Leitung einer pharmazeutischen Großhandlung in Tunis übernommen habe. Eine weiße Villa am Meer können wir bewohnen, mit Personal, soviel du willst! Gehalt auf Dollarbasis. Ich lege dir 1001 Nacht zu Füßen …«
»Das ist typisch für dich!« Sie schlug den Pelzkragen hoch. Ein scharfer, eisiger Wind war aufgekommen. Der verharschte Schnee glitzerte in der Abendsonne. »Für dich ist alles käuflich, auch die Frau! Nach Liebe fragst du nicht.«
»Irene! Du verstehst mich völlig falsch! Ich wollte dir nur klarmachen, daß sich auch mein Leben verändert hat.«
»Zu spät, Hanns!«
»Es ist nie zu spät! Wenn du mich noch liebst.«
»Ich liebe dich nicht! Damit erübrigen sich alle weiteren Überlegungen.«
»Wegen dieses Iwans?«
»Ja, wegen Boris Alexandrowitsch.«
»Ich habe den Großhandel in Tunis nur deinetwegen übernommen!«
»Du wirst schnell eine andere Frau finden, die in deiner weißen Villa am Meer die liebevolle Fatima spielt.«
»Dein Spott ist gemein, Irene.« Hanns Heroldt wurde es zu kalt; er sehnte sich nach seinem geheizten Wagen. »Aber ich gebe nicht auf.«
»Was heißt das?« Plötzlich spürte sie, wie kritisch die Unterredung wurde.
»Ich kämpfe um dich!«
»Du liest zuviel Konsalik-Romane!«
Er ging zurück zu seinem Jaguar und wandte sich an der Tür noch einmal um. Irene hielt seinem Blick stand, mit zur Seite gelegtem Kopf. Diesen Mann habe ich vier Jahre lang geliebt, dachte sie. Einen erfolgreichen Schwätzer!
»Ich meine es ehrlich!« sagte er laut. »Ich gebe dich noch nicht auf.«
»Es hat doch keinen Sinn!« rief sie zurück.
»Für mich doch. Du lieber Himmel, begreife es doch: Ich liebe dich! Es ist mir unerträglich, daß dich ein Russe umarmt!«
Wortlos wandte sie sich ab, ging zu ihrem Golf und fuhr schnell davon.
Hanns Heroldt blickte den Schlußlichtern nach. Dann stieg er in seinen Jaguar. Diesen Iwan kaufe ich mir, dachte er. Man hört und sieht es ja immer wieder: Der Russe versteht nur die Sprache der Stärke! – Damit kann ich ihn bedienen, diesen Boris Alexandrowitsch.
Die Begegnung mit Hanns Heroldt war für Irene der letzte Anstoß, Boris ihr Vertrauen zu beweisen. Gewiß, Dr. Ewingk war dagegen, er war ein Mann mit Grundsätzen. Seit 25 Jahren war er verheiratet, Familienvater mit drei erwachsenen Kindern, ein fast emotionsloser, kühler Realist. Wie anders verhält sich da eine Frau, die endlich erfahren hat, was Liebe ist.
Innerhalb von vier Tagen brachte Irene Walther aus dem Haus der ›Bio-Agrar‹ die folgenden Gegenstände mit nach Hause: einen kleinen, hermetisch abzuschließenden Glaskasten, eben groß genug, um drei Ratten darin unterzubringen, eine kleine versiegelte Flasche mit einer wasserhellen Flüssigkeit, einen transportablen
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