Die Liebenden von Sotschi
quittieren und als nunmehr ›echter‹ Emigrant in München weiterzuleben.
Doch diese Überlegungen waren Utopie. Er wußte nur zu gut, daß man die Arbeit beim sowjetischen Geheimdienst nicht einfach aufgeben konnte wie eine normale Stellung. Man kann nicht kündigen. Schon der Gedanke an Aussteigen ist Verrat.
Es war ein Samstagabend, als Irene Walther alles zum Experiment vorbereitet hatte. Zu ihrer Wohnung gehörte auch ein Hobbyraum im Keller, in dem bisher nur ein Tischtennistisch und ein Bandmassagegerät gestanden hatten. Auf der Tischplatte hatte sie nun ihre geheimen Schätze aufgebaut: in dem Glaskäfig sprangen drei braungraue widerliche Ratten umeinander und stießen mit den Köpfen gegen die Scheibe.
Bubrow, der den maßlos Erstaunten, ja Angewiderten spielte, blieb an der Kellertür stehen. Mit ausgestreckter Hand zeigte er auf den Glaskasten.
»Ratten! Vor nichts ekele ich mich – außer vor Ratten! Irinaschka, was soll das? Du hast mir nie erzählt, daß du mit solch widerlichen Tieren arbeitest.«
»Zur Zeit arbeite ich mit Meerkatzen und Affen, aber die konnte ich ja nicht hierherbringen. Was du sehen sollst, kannst du auch an Ratten sehen.«
»Ich will gar nichts sehen«, sagte Bubrow voller Ekel.
Irene verriegelte die Tür, ging zu den an Nägeln hängenden Kunststoffanzügen und Atemmasken, zog eine Plastikhaube über ihr Haar und nickte Bubrow zu.
»Komm! Ohne Schutzanzug ist das unmöglich.«
»Mit so gefährlichen Dingen lebst du jeden Tag?« Bubrow blieb an der Tür stehen. »Irina, ich möchte, daß du dir etwas anderes suchst. Ich habe ja keine ruhige Minute mehr …« Er sagte das so tief besorgt und ängstlich, daß sie lächeln mußte. Wäre sie ihm näher gewesen, hätte sie ihn geküßt.
»Diese Experimente finden unter größten Sicherheitsmaßnahmen statt«, sagte sie. »Was ich hier mitgebracht habe, ist nur eine sehr abgeschwächte Version. Komm, zieh den Schutzanzug an. Keine Angst. Du wirst dich wundern, was ich dir vorführe.«
Sie brachte ihm den Plastikanzug, küßte ihn auf die Nasenspitze und half ihm, in das glatte Zeug zu steigen. »Jetzt noch die Atemmaske, dann sehe ich wie ein Marsmensch aus«, sagte Bubrow.
»Aber auch auf dem Mars gibt es nicht das, was du gleich sehen wirst.« Sie streifte die Gummihandschuhe über. »Keiner hat es. Nur wir!«
Mit klopfendem Herzen – es dröhnte ihm bis in die Schläfen – trat Bubrow an den Glaskasten mit den drei Ratten.
Bubrow ging der Ruf voraus, einer der eiskalten, durch nichts zu erschütternden Agenten des KGB zu sein, einer jener Männer, auf die Ussatjuk so stolz war, als seien es seine Söhne.
Im gewissen Sinne waren sie es auch. Sie waren durch seine Schule gegangen, sie hatten gelernt, keine Nerven zu haben, sie waren, wenn es kritisch wurde, nur noch Maschinen, die völlig gefühllos ihren Auftrag erfüllten. Aus der Masse der anderen KGB- oder GRU-Agenten hoben sie sich heraus durch Kaltblütigkeit, Intelligenz und einen persönlichen Mut, der ahnen ließ, daß ihnen das eigene Leben, wenn sie es für das Vaterland einsetzen konnten, völlig gleichgültig war. Entsprechend gering schätzten sie das Leben ihrer Gegner ein. Der Gegenspieler war etwas, das man vernichten mußte. Welche Mittel angewendet wurden, das entschied die jeweilige Situation.
Auch die Giftpistole, der Forster zum Opfer gefallen war, war ein solches Mittel, sie gehörte sozusagen zur Grundausstattung.
Boris Alexandrowitsch Bubrow hatte wirklich Wasserbau-Ingenieur studiert, ehe er vom KGB eingesetzt wurde. Ein anständiger, unverfänglicher Beruf öffnet viele Türen. So hatte Bubrow schon in Südafrika operiert, in Angola und Mozambique, in Algerien und im Scheichtum Batar, er hatte sich in den USA umgesehen und in Holland, in Cuba und in Argentinien. Ussatjuk schickte ihn überall dorthin, wo nach sowjetischer Ansicht eine kritische Lage entstanden war und wo ein guter Mann, auch allein auf sich gestellt, viel erreichen kann. Getötet hatte er bisher noch nicht; jedoch gab es in seinem Umfeld immer wieder Opfer, deren Tod nie aufgeklärt wurde. Töten wäre auch nicht Bubrows Art gewesen. Er hatte eine Abneigung gegen diese primitive Weise, Probleme zu lösen. Ussatjuk nannte ihn deshalb: Mein humanes Teufelchen.
Als Bubrow den Auftrag ›Franz-Josef‹ übernahm, hatte Ussatjuk zu ihm gesagt: »Diesmal kann es sehr heiß werden, Genosse. Die B-Forschung in der Bundesrepublik gehört zu den am meisten gehüteten
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