Die Liebenden von Sotschi
nichts anderes als eine simple Erpressung handeln könne. Die Höhle unter der Baumwurzel wäre dann nichts als ein vereinbarter Übergabeort für das Lösegeld. Wer womit erpreßt worden sei, das könne man nun kaum noch klären, nachdem die Polizeibeamten Opfer dieses hinterhältigen Überfalls geworden waren. Der Überfall wiederum – schwere Körperverletzung – fiel in die Zuständigkeit des 1. Kommissariats.
Die Laborbefunde waren trostlos.
Das Papier, auf dem die Mitteilung geschrieben war, entstammte der Produktion der Fabrik ›Südpapier‹ in Regensburg und war tonnenweise in den Fachgeschäften vertreten. Es war normales Schreibpapier, holzfrei, 80 Gramm, ohne Wasserzeichen, ein normales, nicht teures Papier. Beschrieben war es mit einem blauen Kugelschreiber, Spitze halbfein, die Marke ließ sich nicht feststellen. Es konnte sich um einen dieser billigen Wegwerf Schreiber mit fest eingebauter Mine handeln.
Die Handschrift war verstellt, das war sicher. Die Druckbuchstaben waren bewußt kindlich gemalt, mit einer kleinen Neigung nach links. In ›Franz-Josef‹ war das J in lateinischer Schrift geschrieben, also nicht als Blockbuchstabe. Anscheinend kannte der Schreiber nicht das richtige J.
Fingerabdrücke waren natürlich nicht zu finden, lediglich am Rand des Papiers eine schmale Fettleiste. Unter dem Mikroskop erkannte man verschwommen Hautlinien. »Es sieht aus«, hieß es in dem Laborbefund, »als habe der Schreiber den Zettel kurzfristig zwischen die Lippen gepreßt.«
Die beiden überfallenen Polizisten, die noch im Krankenhaus lagen, der eine mit dick geschwollenem Nacken, der andere mit aufgetriebenen Genitalien, konnten sich nicht daran erinnern, daß der Täter einen Zettel zwischen den Lippen hatte. Das war auch unmöglich, denn Hämmerling hatte ja mit dem Rücken zu ihnen vor der Höhlung gehockt, als er durch das Megaphon angebrüllt worden war und vor Schreck den Zettel fallen gelassen hatte.
Trotzdem verpaßte man den beiden Polizisten in ihrer traurigen Lage noch einen Rüffel wegen Unaufmerksamkeit, den der Kriminalkollege, der sie befragte, in die höflichen Worte kleidete: »Ihr solltet Gemüsebauern werden. Bei soviel Tomaten, die ihr auf den Augen habt …«
Es trifft immer die Kleinen.
Das Phantombild, das man von Peter Hämmerling gezeichnet hatte – vielmehr zwei, eins mit rundem, eins mit schmalem Gesicht, da auch hier keine Einigkeit möglich war –, hatte man zweimal im Fernsehen und einmal in den Tageszeitungen gezeigt. Der gesuchte Unbekannte wurde als Trickdieb bezeichnet. Daß man für einen Dieb, und sei er noch so trickreich, keine bundesweite Fahndung auszulösen pflegt, fiel der Bevölkerung nicht ein. Nicht einmal die Presse merkte es; auf solche Feinheiten sprach sie nicht an.
Natürlich brachte auch dieses Phantombild nichts, abgesehen von ein paar törichten Anrufen. Man hatte den Unbekannten gleichzeitig auf Borkum und in Baden-Baden gesehen, in Winterberg im Sauerland und in Stuttgart. Heiterkeit erzeugte eine Zuschrift aus Witten an der Ruhr. Ein Fräulein Hermi Schlicker schrieb: »Das kann sich nur um Karl Westerbusch handeln, genannt Kalle. Seit drei Monaten ist der Kerl verschwunden, nachdem er mir ein Kind gemacht hat! Einen Hut trug der aber nie, das war ihm zu blöd. Karl hat braune lockige Haare. Gucken Sie mal nach: Auf der linken Hinterbacke hat er einen Brandfleck. Da hat er sich mal auf 'ne Lötlampe gesetzt.«
»Beschissen bis zum Kragenknopf!« sagte der Leiter D 14 und legte den Laborbericht und die anderen Schriftstücke in eine WE-Mappe. »Jetzt können wir nur noch auf den Kollegen Zufall hoffen. Was wäre die ganze Kriminalistik ohne ihn!«
Durchaus kein Zufall war es, daß Waschmittelfachmann Ewald Reinberg am Morgen nach dem Treff Bubrows mit Orlowskij am Bierausschank von ›Hertie‹ in der Dienststelle anrief. Bubrow, der eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, war wie befreit, als er Reinbergs Stimme hörte.
Stundenlang hatte er wachgelegen, in die Dunkelheit gestarrt und mit sich gerungen, ob er die schlafende Irene wecken und ihr die volle Wahrheit sagen sollte. Und wie so oft in den letzten Wochen, hatte er davor zurückgeschreckt. Wie soll eine Frau wie Irene es seelisch verkraften, wenn der geliebte Mann zu ihr sagt: »Es war alles genau geplant, bis ins kleinste durchgespielt, auch alle denkbaren Pannen waren einkalkuliert – eine generalstabsmäßig vorbereitete Aktion: Der Sturz vom Maulesel in der Teeplantage
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