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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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große Schweigen ausbrechen.«
    Später, als sie allein waren, sagte Cohagen fröhlich: »Da sind sie hingegangen mit dicken Köpfen. Borja, ich gebe Ihnen recht. Ich hätte jetzt Angst um Sie, wenn Sie sich bei den Deutschen gemeldet hätten.« Er blickte hinüber zu der stummen Irene und ging zur Tür. »Ich laß euch jetzt allein. Zerfleischt euch nicht, das Leben ist noch lang und schön in New York.«
    Irene hatte während der zweistündigen Vorstellung Bubrows kein Wort gesagt. Sie hatte in einer Ecke gesessen und ihn nur immer angestarrt.
    Was er erzählte, was er da bekannte, war so ungeheuerlich, so wahnwitzig, so unglaubhaft, daß sie nach diesen beiden Stunden noch immer wie gelähmt im Sessel hockte. Ich bin Schlacke, dachte sie. Ich bin völlig ausgebrannt. Zu nichts bin ich mehr fähig. Wenn man mich aus dem Sessel hebt, kann man mich forttragen wie eine Puppe. Jetzt sah sie Bubrow an, der am Fenster stand, zermürbt, mit durchwühlten Haaren, geröteten Augen, zuckenden Lippen. Nun, wo sie allein waren, vermochte er kaum noch Haltung zu bewahren. Er kam sich kotzelend vor. Er ekelte sich vor sich selbst.
    »Irininka«, sagte er nach einer ganzen Weile sehr leise.
    »Ja.«
    »Ich, ich habe das alles nur für uns getan.«
    »Ja.«
    »Bitte, vergiß Sotschi.«
    »Wie kann ich das? Da hat es angefangen.« Sie saß starr im Sessel, ihr Gesicht war unbewegt, aber aus den Augen rollten die Tränen. »Sotschi war für mich der Himmel.«
    »Er war es auch, Irina.«
    »Vom KGB befohlen! Mach Liebe, Genosse … Wie – wie konntest du das nur?«
    »Ich habe es eben nicht gekonnt. Du siehst es jetzt! Ich bin bei dir, für alle Zeit. Es gibt keinen Bubrow mehr! Deinetwegen habe ich meine Heimat aufgegeben, habe sie verraten, bin ein Namenloser geworden, ein Vaterlandsloser, ein Unbehauster … Nur du allein bist jetzt Heimat, Vaterland, Leben … Nur du! Irininka – wenn ich mit dir weinen könnte! Ich kann es nicht mehr. Ich habe den ganzen Tag geweint.«
    »Man sieht's dir an.« Sie versuchte, tröstend zu lächeln, aber es geriet ihr zu einem schiefen Grinsen. »Ich danke dir, Boris.«
    »Du – mir? Wofür?«
    »Du hast mich nicht verraten. Du hast nichts gesagt von dem Experiment im Keller. Warum nicht? Es wäre jetzt doch gleichgültig gewesen.« Sie trocknete ihre Tränen mit den Handflächen und stand auf. Bubrow begann zu beben, als sie nahe vor ihm stehenblieb. »Hast du das Experiment nach Moskau gemeldet?«
    »Ja.« Er nickte mehrmals. »Das war mein Abschied von Rußland.«
    »Danke, daß du nicht auch mich belügst. – Wann fliegen wir nach New York?«
    »O Irininka!«
    Er sank vor ihr auf die Knie, preßte sein Gesicht in ihren Schoß und schluchzte.
    Im Morgengrauen wurden von der belgischen Politischen Polizei der Fruchtimporteur Harrelmans, als Oberst Orlowskij, Leiter der Sektion Westeuropa des KGB, und sein ›Buchhalter‹ verhaftet. Sie waren schon zu so früher Stunde im Büro. Dem ›Buchhalter‹ gelang noch ein Funkspruch nach Moskau, dann zertrümmerte er das Funkgerät und aß das Papier mit dem Funkcode auf. Der offene Kampf hatte begonnen.
    Ausgesprochen peinlich war, was Ussatjuk am Morgen erleben mußte. Man bedauerte ihn ehrlich, denn man konnte sich kaum erinnern, daß es zu dem, was ihm heute geschah, eine Parallele gegeben hätte.
    Der Tag begann voll Düsternis schon dadurch, daß Ussatjuk häuslichen Ärger hatte. Die Ussatjuka blieb im Bett liegen, klagte über Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, Beinschmerzen, Kopfschmerzen, Brustschmerzen, war also rundum mit Schmerzen versorgt, verdrehte die Augen, seufzte anhaltend und bestand darauf, als eine Frau betrachtet zu werden, der nur noch wenige Tage blieben. Dabei wußte Ussatjuk genau, daß ihr gar nichts fehlte, außer dem Pelz, den sie im Prominentenbasar gesehen hatte: ein Ottermantel mit seidig glänzendem Fell, der sie, so behauptete sie, mindestens zehn Jahre jünger machte.
    Diese Vorstellung jagte Ussatjuk einen Schrecken ein. Die Ussatjuka war immerhin fünfundvierzig und wirkte attraktiv auf jeden Mann, der ihr flüchtig begegnete.
    Aber das legte sich bei näherer Bekanntschaft und erst recht in einer jahrzehntelangen Ehe. Zänkisch war sie, rechthaberisch, laut, im Streit mit ihrem Mann sogar richtig ordinär, dann wieder wehleidig, nörgelnd, weinerlich und zerstreut. Ussatjuk hatte einmal geäußert: »Da haben sie die liebe Laika in das Weltall geschossen, dieses brave Hündchen. So ein unschuldiges Tierchen!

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