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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein Genie wie Jeff Tucker glich diese Neuformung eines Gesichtes der Arbeit eines Bildhauers. Er war ein Pygmalion der Chirurgie.
    Noch ein Problem stellte sich am Rande. Tucker fragte: »Wie alt wollen Sie sein?«
    »Das steht doch im Paß. Sechsunddreißig.«
    »Das besagt doch nichts, Mr. Jefferson.« Tucker tippte auf die Zeichnung. »Man kann mit dreißig aussehen wie sechzig und mit sechzig wie ein Apollo, den alle Weiber anhimmeln.«
    »Ich möchte meinem Alter gemäß aussehen«, sagte Bubrow gelassen. »Sie können ruhig ein paar Falten einarbeiten, Herr Professor.«
    »Das wollte ich nur wissen.« Jeff Tucker nahm die Zeichnung an sich. »Die Laboruntersuchungen haben ergeben, daß Sie wirklich das haben, was man ›gutes Heilfleisch‹ nennt. Gratuliere, Mr. Jefferson.«
    In der Nacht schlief Bubrow tief und mit ruhigem Atem, während Irene im Bett saß und ihn immer wieder ansah. Ich muß Abschied nehmen von diesem Gesicht, dachte sie und spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte. Dieses Gesicht, das ich so liebe, das in den schönsten Augenblicken über mir war, zwischen meinen Brüsten, an meinem Körper, dieses Gesicht, das ich zwischen den Händen hielt, das ich küßte, das zärtliche Worte zu mir sprach; ein Spiegel der Seele, seiner Seele, in die es mich tief hineinblicken ließ.
    Was wird davon übrigbleiben?
    Nichts! Die Zeichnung war brutale Wirklichkeit: Wenn Boris aus dem OP zurückkam, war er ein fremder Mensch. Aber alles andere ist noch Bubrow, dachte sie. Seine Hände, sein Körper, seine Sprache, sein Gang, seine Bewegungen, sein Geist, seine Liebe … Alles wird bleiben, wird nicht zu Anthony Jefferson gemacht. Auch seine Augen werden bleiben, diese geheimnisvollen Augen.
    Sie vergaß, daß auch die Augen geändert wurden. Sie sollten, mittels Haftschalen, tiefbraun gefärbt werden.
    Immer wieder beugte sie sich über ihn, küßte ihn vorsichtig, damit er nicht wach wurde, streichelte sein Gesicht und prägte sich jede Kleinigkeit ein. Einmal lächelte er im Schlaf, und das sah so hinreißend aus, daß sie versucht war, laut »Nein! Nein!« zu schreien. Aber dann dachte sie an Ussatjuk und an die Gewißheit, daß man Bubrow jagen würde und daß nur ein neues Gesicht die Gewähr bot, der Rache des KGB zu entrinnen.
    Um halb acht wurde Bubrow abgeholt.
    Die süße, platinblonde Vanessa Wildie erschien. »Sind Sie bereit, Sir?« piepste sie, machte ihren artigen Knicks und sah Irene strahlend an. »Was kann ich für Sie tun, Madam?«
    »Im Augenblick nichts.«
    Bubrow wandte sich noch einmal um, ehe er das Zimmer verließ. Dann kam er zurück und nahm Irene in seine Arme. Sie küßten sich lange, mit geschlossenen Augen, und mit geschlossenen Augen riß er sich von ihr los und lief aus dem Zimmer. Es war Bubrows Abschied für immer. Wenn er zurückkam, war er Anthony Jefferson.
    Irene öffnete die Augen, ging mit weichen Knien zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Nun war es endgültig.
    Sie legte den Kopf weit zurück, blickte hoch, zur pastellgrün getönten Decke, die eine beruhigende Wirkung erzeugen sollte, und vollzog in Gedanken das, was jetzt im OP mit Boris geschah. Als Ärztin waren ihr die operativen Grundhandgriffe geläufig, aber sie hatte noch nie bei Wiederherstellungschirurgie assistiert oder zugeschaut. Nur einmal hatte sie während ihrer MA-Zeit einer Brustvergrößerung beigewohnt; sie hatte hoch über dem OP in einer Glaskuppel gesessen und hinuntergeblickt auf den abgedeckten Körper im hellen Scheinwerferlicht. Es war Drüsengewebe ausgeschält und die Brustwarzen waren samt Hof auf den neuen, kleineren Busen versetzt worden.
    Jetzt wird er auf dem Tisch liegen, dachte sie. Man deckt ihn ab mit warmen, sterilen Tüchern. Ob Tucker voll anästhesiert oder nur lokal? Bei kosmetischen Operationen wird eine Lokalbetäubung vorgezogen, aber hier handelt es sich ja um einen großen, alles verändernden Eingriff. Was hat Tucker gesagt? Es kann sieben oder mehr Stunden dauern.
    Mein Gott, wie soll ich das überstehen?
    Sie sprang auf, trat auf den Balkon und holte tief Luft. Im Park arbeiteten zwei Gärtner. Sie schnitten den Rasen, fegten Laub weg, säuberten den Minigolfplatz und harkten die Wege. Drei Schwestern mit gestärkten Häubchen trippelten vom Schwesternhaus herüber zum Dienst.
    Irene trat ins Zimmer zurück und schloß die Balkontür. Alle Kliniken gleichen sich irgendwie, dachte sie. Dabei sind die, die hier leben, gar nicht krank, sie sind nur eitel.

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