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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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Frage, wofür sie sich entscheiden würde, wenn sie sich eben entscheiden müsste, blind oder taub zu sein, antwortete sie immer mit blind.
    Ohne Musik zu leben …? Dann könnte sie auch gleich sterben. Und ihre Stärke, so empfand sie es zumindest, lag darin, allesliebend, allesgenießend, allesfressend zu sein, allerdings mit einer Ausnahme, dem modernen Jazz. Da besaß sie einen weißen Flecken auf ihrer musikalischen Landkarte, den sie zum großen Ärger vereinzelter Kollegen »Des Kaisers neue Kleider« nannte. Aber bittesehr, sie war ein Profi, sie lieferte lange Interviews mit den verschrobensten aller verschrobenen Jazzmusiker und Jazzkomponisten und Jazzsängern und Jazzsängerinnen, mit sorgfältig vorbereiteten Fragen und Folgefragen, sie machte ihre Recherchen und begriff schnell, was Sache war. Es ging nur darum, sich mit dem Strom treiben zu lassen, solange sie im Dienst war. Aber CD s und Konzerte zu rezensieren, das blieb ihr erspart.
    Es hatte ein wenig interne Tumulte gegeben, als sie bei Adressa angefangen hatte, eben weil sie keine Rezensionen schreiben wollte, aber irgendwann hatten die Verantwortlichen begriffen, dass das ihrer Arbeit zugute kam, die Künstler waren in ihrer Gesellschaft entspannt, da nicht sie es war, die eine Bewertung vornahm. Ihren ganz persönlichen Vorteil erkannte sie erst ein wenig später, dass sie nämlich mit keinem schlafen konnte, dessen Arbeit sie gleichzeitig rezensieren sollte. Das war eine Frage der Integrität und des Berufsethos.
    Sollte sie also erblinden, hätte sie wenigstens noch die Musik. Diese Freude, vor den CD -Regalen zu stehen, abzuwägen und dann zu wählen. Tommy Tokyo oder die Steve Miller Band. Die Stones oder Peps Blodsband. Cat Stevens oder Eminem. Im Auto hatte sie Ry Cooder, Discohits aus den Achtzigern, Kim Larsen, Kåre Virud und Maroon 5. Sie liebte Hornbys Buch »High Fidelity« und konnte sich ausschütten vor Lachen über den Ausdruck »Kraftwerk unplugged«. Und erst seine vielen Bestenlisten. Sie hatte sofort begonnen, ihre eigenen zu erstellen. Sie las eigentlich keine Bücher, ihr eigenes Leben reichte ihr vollkommen, aber »High Fidelity« hatte sie dreimal gelesen und jedes Mal so laut gelacht wie beim ersten Mal. »Liking both Marvin Gaye and Art Garfunkel is like supporting both the Israelis and the Palestinians.«
    Sie hatte sich einmal mit einem Kollegen vom Dagbladet wild gefetzt, denn der hatte ihr eine oberflächliche Beziehung zur Musik unterstellt, weil sie so viele verschiedene Stile gut fand. Sie war genervt von Musikfans, die sich in abgelegenen, musikalischen Nischen verkrochen und alle verachteten, die nicht so dachten wie sie. Am schlimmsten waren die Depeche-Mode-Anhänger. Auf einen guten zweiten Platz kamen die Vertreter der These, dass seit Buddy Hollys Flugzeugabsturz 1985 kein echter Rock mehr gemacht worden sei, vielleicht mit Ausnahme von Don McLeans »American Pie«.
    Aber würde sie gezwungen sein, sich einen iPod zu kaufen, um das Walken mit den Stöcken auszuhalten und sich nicht mehr ungesund zu fühlen?
    Nein, beschloss sie. Sie würde es auch ohne Musik schaffen, die beängstigend nah am Ohr spielte, und zu allem Überfluss würde sie sich dabei draußen in der Dunkelheit aufhalten. Morgen Abend, gleich morgen würde sie damit anfangen.

37
    Sie stellte den Audi auf einem der Firmenparkplätze direkt vor dem Statoilgebäude ab, damit alle annehmen sollten, dass sie dort arbeitete, niemand würde so spät am Abend ihr Nummernschild mit den gekennzeichneten reservierten Parkplatzschildern vergleichen. Die Stöcke hatte sie zu Hause eingestellt, die Arme sollten sich beim Gehen in einem Winkel von neunzig Grad bewegen. Die Stöcke lagen lang und schlank im Auto, schräg über die Rücksitze bis in den Kofferraum hinein. Es wurde schon dunkel, Gott sei Dank. Sie besaß keine Trainingskleidung und hatte sich darum eine Hose angezogen, die zu einem sogenannten »Freizeitanzug« aus weinroter Chenille gehörte, allein bei der Farbe sehnte sie sich nach ihrem Wohnzimmer und einem Glas oder zwei.
    Sie stellte die Stöcke auf den kahlen Asphalt, sie machten ein blödes metallisches Geräusch, wie ein Specht vor einer Stahlwand. Sie ging über den Kiesweg weiter, wartete darauf, dass ihr Schweiß zu strömen begann, kam sich wie eine Idiotin vor, wie eine alte Oma aus der Reha; sie dachte wie besessen an Gin und Tonic mit sehr viel Eis, an The Dark Side of the Moon . Vielleicht sollte sie lieber anfangen zu

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