Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
rauchen, gegen diesen Gesundheitswahn ankämpfen, mit allerlei kreativen und exaltierenden Drogen experimentieren, Jimi Hendrix und Metallica hören, Tag und Nacht, den Job kündigen und vor die Hunde gehen, um dann eine bewegende Bestseller-Autobiographie zu schreiben, darüber, wie es war, aufgrund eines arglosen Einkaufs von zwei Stöcken ihr Leben gegen die Wand zu fahren.
Das Statoilgebäude lag silberweiß hinter ihr, drei vereinzelte Jogger kamen ihr entgegen, sie wechselten keine Blicke. Zwei Jogger waren Männer mit tiefen Fältchen um die Augen, als ob sie noch im Dunkeln in das grelle Sonnenlicht blinzeln müssten, die dritte, eine etwas übergewichtige Frau, lief auf eine schleppende, resignierte Weise, die Ellbogen dicht an den Körper gepresst und die Hände wie zwei Gummihandschuhe vor sich baumelnd. Aber warum joggten sie überhaupt? Wenn alle behaupteten, Walken sei das Wahre? Würde sie etwa auch noch joggen müssen?
Sie blieb stehen und streifte die Schlaufen von ihren Händen. Sie war kein bisschen müde, dabei war sie mindestens schon einen halben Kilometer gegangen. Das war doch alles Quatsch.
Sie schaute auf den Fjord. Es war schön hier. Obwohl das hier wahrscheinlich keine Natur im wahrsten Sinne des Wortes war, weil es zu dicht an der Stadt lag, sie wusste nicht besonders viel über Natur, sie zog von Menschen geschaffene Ordnung und Kompositionen vor. Sie atmete tief durch, nahm die Stöcke in die linke Hand und verspürte tatsächlich einen Hauch von Gesundheit. Hier stand sie nun mit ihrem Körper, allein auf dem Ladesti, sie war schon sehr lange nicht mehr so allein gewesen – unter freiem Himmel. Der Fjord roch gut, kalt und salzig, Wellen dröhnten unweit von ihr gegen die Strandfelsen, das Wasser wogte um dunkle Tangdolden. Sie beschloss, zum Auto zurückzugehen und auf die Stöcke zu pfeifen, sie hinter sich her durch den Kies zu ziehen.
»Glück. Glück! GLÜÜÜÜÜÜCK !«
38
Es war eine dünne verzweifelte Mädchenstimme, und sie kam aus der Dunkelheit hinter ihr. Im selben Augenblick jagte ein Knäuel von Hund auf sie zu in Richtung Wasser. Sie drehte sich um. Das Kind sah aus wie eine mit den Armen fuchtelnde Negativ-Silhouette, weiße Kleider vor dunklem Hintergrund.
Das Knäuel streifte sie in seiner wilden Jagd, sie bückte sich und packte es, ihre Hand griff in wolliges Fell, sie drückte den Hund zu Boden und hielt ihn fest, obwohl er sofort verzweifelte Geräusche ausstieß.
» TAUSEND Dank.«
Das Kind fiel aufgebracht und atemlos vor dem Hund auf die Knie und befestigte eine Kette an seinem Halsband.
»Tausend Dank. Ich hatte ja solche Angst. Ich hab den heute erst gekriegt. Also … ihn, meine ich. Das ist ein Junge.«
»Vielleicht solltest du ihn dann nicht frei laufen lassen«, schlug sie vor. »Bis ihr euch besser kennengelernt habt.«
»Das sagt Papa auch. Aber ich habe gehört, dass die angeblich gehorsamer sind, wenn sie frei laufen dürfen? Glaubst du das?«
»Ich weiß nicht sehr viel über Hunde«, sagte sie.
»Ich eigentlich auch nicht. Aber ich hab von Papa ein Buch über Hundehaltung bekommen. Das werde ich lesen.«
»Er hat jedenfalls einen schönen Namen.«
»Ja, nicht wahr? Das ist mir einfach so eingefallen. Gleich auf den ersten Blick. Da war er … drei Wochen alt, glaube ich. Weil er mich so glücklich gemacht hat, habe ich beschlossen, dass er Glück heißen sollte. Papa war eher für Caesar oder Nero oder so was GROSSES , nur, weil er so klein ist, aber ich wollte Glücksstern. Ich hab das einfach so beschlossen.«
»Der wird doch bestimmt noch größer?«, fragte sie, sie wusste nicht so recht, was sie sonst sagen sollte, sie war es nicht gewohnt, mit Kindern zu reden, sie dachte, vielleicht sollte sie in die Hocke gehen, wenn sie mit der Kleinen sprach, es wirkte so gewaltig, mindestens einen halben Meter größer zu sein.
»Doch, er wird größer, klar. Aber nicht viel. Das ist ein Zwergpudel, weißt du. Und Zwerge sind ziemlich kleine Menschen.«
»Emma! Hier bist du also?«
»Ja, Papa. Hier bin ich mit einer lieben Dame, die Glück gefangen hat. Der hätte ERTRINKEN können.«
Der Mann kam auf sie zu. Er war gerannt, das hörte sie an seinem Atem, aber jetzt hatte er den Schritt wieder verlangsamt, ihm war wohl klar, dass die Katastrophe verhindert worden war.
»Ich glaube nicht, dass er ertrunken wäre«, sagte er. »Und du wolltest ihn ja unbedingt frei laufen lassen, vergiss das nicht, Emma.«
»Ach, Papa! Ich hatte
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