Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
wurde der Ladesti gezeigt, da brauchte sie nur zum Statoilgebäude zu fahren, dort zu parken und zu den Stöcken greifen. Aber hatte sie den Nerv dazu? So ganz in echt?
Sie hatte andere in der Kantine über den inneren Schweinehund reden hören, aber auch über die Euphorie, wenn man sich trotzdem aufraffte. Das Kleinhirn spülte dann offenbar jede Menge Glückspillen in flüssiger Hormonform ins Blut, und man war danach in Superstimmung. Sie legte sich aufs Sofa, hatte die Füße aber noch immer auf dem Boden stehen, sie dachte an den Mann, der ihr die Stöcke verkauft hatte, und sie wurde plötzlich unendlich müde, er hatte sie an jemanden erinnert, ihr fiel aber nicht ein, an wen. Sie schaltete den Fernseher ein, es gab Nachrichten, sie zappte weiter und landete bei Discovery , dort wurde eine Sendung über Tiger in Indien gezeigt, nur noch fünfzehnhundert Tiere lebten in diesem Land, sie döste vor sich hin, und dabei fiel ihr wieder ein, an wen er sie erinnert hatte, eine junge Ausgabe von Sean Connery, wie sie ihn zum ersten Mal als James Bond gesehen hatte, in »Dr. No«.
Seit sie den Film in ihrem beschissenen möblierten Zimmer in Møllenberg zum ersten Mal auf Video gesehen hatte, hatte sie von Sean Connery taggeträumt. Erotische nächtliche Träume hatte sie oft, deshalb wartete sie jahrelang auf einen mit Sean. Aber sie träumte von Männern, mit denen sie in wachem Zustand nie im Leben ins Bett gegangen wäre, auch wenn ihr jemand gedroht hätte, ihr die Kehle mit einer stumpfen Stickschere durchzuschneiden, oder sie träumte von gesichtslosen Männern, die nur Körper waren.
Erst mit dreiunddreißig träumte sie von Sean.
Sie befanden sich in einer Küche. Er kochte, sie sah zu, wie er Gemüse schnitt und mit riesigen behaarten Händen in einen dampfenden Kochtopf fallen ließ, die Hände waren vom mittleren Fingergelenk aufwärts mit Pelz bewachsen, der Pelz wurde immer dichter, bis er unter den Hemdsärmeln verschwand. Sie stand da und brach einen Streit vom Zaun, später wusste sie nicht mehr, worum es dabei gegangen war, aber sie blieben stehen und brüllten einander an, während Sean immer schneller Gemüse kleinhackte und zwischendurch das Messer durch die Luft kreisen ließ. Dann plötzlich, ohne irgendeinen Übergang, hatte sie eine Decke und zwei Kissen im Arm und stand in einem Gästezimmer mit einem Schlafsofa.
Sie schloss hinter sich die Tür ab.
Sean hämmerte an die Tür und brüllte mit schottischem Akzent und seiner typischen zurückgezogenen Zungenspitze, darüber müssten sie reden, sie könne ihn nicht einfach so verlassen, sie müssten wieder Freunde sein!
»Pleasch, open de door! I love you! I love you!«
Dann wachte sie auf und lag mehrere Minuten da und ließ den Traum Revue passieren, jedes Detail, aber an das Wichtigste konnte sie sich nicht erinnern: worüber zum Henker sie sich gestritten hatten. Sie dachte, jetzt könnte sie sich eigentlich nur noch erschießen. Endlich ein Traum von Sean Connery, nachdem sie fünfzehn Jahre darauf gewartet hatte.
Und sie hatte sich im Gästezimmer eingeschlossen!
36
Sie zappte weiter und schaffte es nicht, vom Sofa aufzustehen. Irgendwann legte sie auch die Beine darauf. Es würde furchtbar, furchtbar, furchtbar langweilig sein, mit den Stöcken über den Ladesti zu wandern. Ganz unvorstellbar langweilig. Rekordverdächtig langweilig. Vielleicht würde sie sich sogar einen iPod kaufen müssen.
Es war ein Dauerwitz in der Redaktion, dass sie als Musikjournalistin weder einen Walkman noch Discman oder iPod besaß. Aber sie konnte diesen ganzen Kabelsalat nicht ausstehen. Und außerdem fühlte sie sich durch die Geräusche direkt am Ohr von allen anderen in ihrer Umgebung abgeschnitten: Sirenen, Feuermeldern, Stimmen, schnellen Schritten oder gar einer unerwarteten Berührung von hinten.
Musik hörte sie im Auto oder zu Hause in ihrer Wohnung. Sie befand sich in der glücklichen Lage, an beiden Orten die Musik laut aufdrehen zu können. Im Auto, weil sie allein unterwegs war, zu Hause, weil sie ganz oben wohnte und der in der Wohnung unter ihr beim Trondheimer Symphonieorchester Pauke spielte und deshalb Decke und Boden schallisoliert hatte, um mit Hilfe seiner Stereoanlage große Orchesterwerke einstudieren zu können. Das war übrigens der Hauptgrund, warum sie sich an jenem Tag vor sieben Jahren für ebendiese Wohnung entschieden hatte. Nur wenn sie dabei die Fenster öffnete, konnte sie andere stören. Auf die klassische
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