Die Liebeshandlung
Mitbewohner, war aus Washington, D. C. Die Mädchen auf der anderen Seite des Flurs, Jennifer Talbot und Stephanie Friedman, waren aus New York beziehungsweise Philadelphia. Alle anderen auf seinem Stockwerk kamen aus Teaneck, Stamford, Amherst, Portland (Maine) und Cold Spring. In seiner dritten Woche auf dem Campus begegnete Leonard Lola Lopez, einem Mädchen mit Bambi-Gesicht, karamellbrauner Haut und einer gepflegten Afrofrisur, das aus Spanish Harlem stammte. Sie saß im Hof und las Zora Neale Hurston, als Leonard so tat, als suchte er den Weg zur Mensa. Er fragte sie, woher sie sei und wie sie heiße, und als sie es ihm sagte, fragte er, was der Unterschied zwischen Spanish Harlem und dem normalen Harlem sei. «Ich muss das hier für den Unterricht fertig lesen», sagte Lola und wandte sich wieder ihrem Buch zu.
Die einzigen Menschen von der Westküste, die er kennenlernte, waren aus Kalifornien – ein anderer Planet. «Haltet Kalifornien Oregon-frei» stand auf vielen Aufklebern an Autos mit Nummernschildern des Golden State, worauf die Nachbarn mit der Retourkutsche kamen: «Willkommen in Oregon. Angenehmen Aufenthalt. Danach ab nach Hause.» Doch die Kalifornier, die Leonard an der Uni kennenlernte, wussten zumindest, woher er war. Sonst fragte ihn jeder aus dem Süden, dem Nordosten oder Mittelwesten bloß nach dem Regen. «Regnet es da nicht sehr viel?» – «Ich hab gehört,da regnet es andauernd.» – «Wie gefällt dir der Regen da oben?»
«So schlimm wie in Seattle ist es nicht», sagte Leonard ihnen.
Es störte ihn nicht sonderlich. Er war im August achtzehn geworden, und die Krankheit begann ihn mit Rauschmitteln zu überschwemmen, als hätte sie darauf gewartet, dass er das gesetzliche Mindestalter für Alkoholkonsum erreichte. Zwei Auswirkungen der Manie waren, dass sie einen die ganze Nacht wach hielt und Nonstop-Sex ermöglichte: so ziemlich genau die Definition des Collegelebens. Leonard lernte jeden Abend bis Mitternacht in der Rockefeller-Bibliothek wie ein Jeschiwa-Schüler, der abends nach dem Thora-Studium betet. Um Punkt zwölf ging er zum West Quad zurück, wo immer Party war, gewöhnlich in seinem Zimmer. Miller, ein Absolvent des Milton College, der schon vier Jahre von zu Hause weg war und so seine dionysischen Methoden hatte verfeinern können, befestigte zwei riesige Burmester-Lautsprecher an der Decke. In der Ecke neben seinem Bett hatte er wie einen silbernen Torpedo eine Flasche Lachgas in Industriegröße stehen. Jedes Mädchen, das an dem Gummischlauch saugte, sank einem unweigerlich ohnmächtig in die Arme, wie eine Jungfer in Nöten. Leonard merkte, dass er solche Tricks nicht brauchte. Ohne es wirklich ausprobiert zu haben, hatte er das entwickelt, was die Mädchen wollten. Spätestens im Dezember hörte er Berichte über eine Liste in der Mädchentoilette der Airport Lounge, eine Liste der süßesten Jungs am College, auf der sein Name stand. Eines Abends brachte Miller einen Zettel von einer englischen Punkerin namens Gwyneth mit rotgefärbtem Haar und hexenhaft schwarzen Fingernägeln mit. Darauf stand: «Ich will Deinen Körper.»
Sie bekam ihn. Und auch sonst jede. Ein repräsentatives Bild von Leonards erstem Studienjahr wäre das eines Typen, der den Kopf eben lange genug von einem Cunnilingus hebt, um einmal an einer Bong zu ziehen und im Kurs eine richtige Antwort zu geben. Die Schlaflosigkeit machte es leichter, es mit zweien hintereinander zu treiben. Man konnte das Bett eines Mädchens um fünf Uhr morgens verlassen, über den Campus gehen und bei einer anderen hineinschlüpfen. Alles lief prima, Leonard hatte gute Noten, er war intellektuell und erotisch ausgefüllt – bis er in der vorlesungsfreien Zeit eine ganze Woche ohne Schlaf verbrachte. Nach seiner letzten Prüfung schmiss er in seinem Zimmer eine Party, landete mit einem Mädchen im Bett, das er am nächsten Morgen nicht wiedererkannte, nicht, weil sie ihm unbekannt gewesen wäre (es war Lola Lopez), sondern weil die anschließende Depression ihn für alles blind gemacht hatte außer für seine Qual. Sie ergriff jede Faser seines Seins, ein Konzentrat von Pein, das tröpfchenweise in seine Adern abgesondert zu werden schien wie ein giftiges Beiprodukt seiner vorangegangenen Tage der Manie.
Einer echten Manie diesmal. In ihrem Ausmaß so weit jenseits der beschwingten Aufgekratztheit seiner Highschooltage, dass sie nur wenig Ähnlichkeit damit hatte. Die Manie war ein mindestens genauso
Weitere Kostenlose Bücher