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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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wurden. Also erzählte er seinen Freunden von Geldsorgen und Gesundheitsproblemen, bis er schließlich den Überblick darüber verlor, was er zu wem sagte. Ungefähr zu dieser Zeit war Ken Auerbach mit zwei Wachleuten aufgekreuzt und hatte ihn zum Gesundheitsdienst gebracht. Und das wirklich Irre bestand darin, dass Leonard, als er am nächsten Tag ins Krankenhaus verlegt wurde, stinksauer war. Er war stinksauer, weil er in die Psychiatrie aufgenommen wurde, ohne vorher in den Genuss eines totalen manischen Exzesses gekommen zu sein. Er hätte drei Nächte durchmachenund acht Tussen vögeln und Schnee sniffen und vom Bauch einer Stripperin namens Moonstar Wodka-Götterspeise lecken sollen. Stattdessen hatte Leonard nichts anderes getan, als in seiner Wohnung zu sitzen, seinen Rolodex zu malträtieren, seine Telefongesprächspartner zu überfordern und langsam abzustürzen, bis er bei den anderen Verrückten in der geschlossenen Abteilung gelandet war.
    Als er drei Wochen später wieder herauskam, hatte sich die Machtdynamik vollkommen umgekehrt. Jetzt war
er
der Bedürftige. Zwar hatte er Madeleine zurück, was wunderbar war. Aber sein Glück blieb beständig von der Angst gefährdet, sie wieder zu verlieren. Seine Unansehnlichkeit ließ Madeleines Schönheit noch hervortreten. Neben ihr im Bett fühlte Leonard sich wie ein pummeliger Eunuch. Jedes Härchen auf seinen Oberschenkeln spross aus einem entzündeten Follikel. Manchmal, wenn Madeleine schlief, zog er behutsam die Decke weg, um ihre leuchtende rosa Haut anzustarren. Das Interessante daran, der Bedürftige zu sein, war, dass man sich so verliebt fühlte. Das ließ es die Sache beinahe wert sein. Diese Abhängigkeit war das, wovor Leonard sich sein Leben lang gehütet hatte, aber das konnte er nun nicht mehr. Er hatte die Fähigkeit verloren, ein Arschloch zu sein. Jetzt war er verliebt, und es fühlte sich wunderbar und beängstigend zugleich an.
    Madeleine hatte versucht, seine Wohnung zu verschönern, während er im Krankenhaus war. Sie hatte das Bett neu bezogen, Gardinen vor die Fenster und einen rosa Duschvorhang aufgehängt. Sie hatte die Fußböden und Arbeitsplatten geschrubbt. Sie behauptete, froh zu sein, mit ihm zusammenzuwohnen und Olivia und Abby los zu sein. Aber im Lauf des langen, heißen Sommers verstand Leonard allmählich, weshalb Madeleine es irgendwann leid sein könnte, soprimitiv mit ihrem beinahe mittellosen Freund zusammenzuleben. Jedes Mal, wenn eine Kakerlake aus dem Toaster hervorgehuscht kam, sah sie aus, als würde sie sich gleich übergeben. Unter der Dusche trug sie Sandalen, um sich vor dem Schimmel zu schützen. In der ersten Woche nachdem er wieder zu Hause war, blieb sie jeden Tag bei ihm. Aber schon in der Woche darauf fing sie an, in die Bibliothek zu gehen oder ihren alten Professor zu besuchen. Er mochte es nicht, wenn sie die Wohnung verließ. Er argwöhnte, dass sie nicht aus dem Haus ging, weil ihr etwas an Jane Austen oder Professor Saunders lag, sondern um ihn mal los zu sein. Abgesehen von ihren Bibliotheksgängen spielte Madeleine zwei- oder dreimal in der Woche Tennis. Eines Tages versuchte Leonard sie zum Dableiben zu bewegen, indem er sagte, es sei zu heiß draußen, um Tennis zu spielen. Stattdessen schlug er ihr vor, mit ihm in einem klimatisierten Kino einen Film zu sehen.
    «Ich brauche Bewegung», sagte Madeleine.
    «Ich werde dir schon Bewegung verschaffen», tönte er hohl.
    «Nicht die Art von Bewegung.»
    «Wie kommt es, dass du immer mit Kerlen spielst?»
    «Weil Kerle mich schlagen können. Ich brauche Konkurrenz.»
    «Wenn ich das sagen würde, würdest du mich sexistisch nennen.»
    «Hör zu, würde Chrissie Evert in Providence leben, wäre sie es, mit der ich spielen würde. Aber alle Spielerinnen, die ich kenne, sind grottenschlecht.»
    Leonard wusste, wie er sich anhörte. Er hörte sich an wie jede Klotz-am-Bein-Freundin, die er gehabt hatte. Damit er sich nicht weiter so anhörte, schmollte er, und in dem darauffolgendenSchweigen raffte Madeleine ihren Tennisschläger und die Dose mit den Bällen zusammen und ging.
    Sobald sie gegangen war, sprang er auf und lief zum Fenster. Er beobachtete, wie sie in ihrem weißen Tennisdress, das Haar zurückgebunden, ein Schweißband um das Handgelenk ihres Aufschlagarms, das Haus verließ.
    Es war etwas am Tennis – seine aristokratischen Rituale, das überkorrekte Schweigen, das es seinen Zuschauern auferlegte, das prätentiöse Beharren, «love»

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