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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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statt «null» und «deuce» statt «Einstand» zu sagen, die Exklusivität des Platzes selbst, auf dem sich nur zwei Personen frei bewegen durften, die palastwachenartige Steifheit der Linienrichter und das sklavische Herumhuschen der Balljungen   –, was es eindeutig zu einer tadelnswerten Freizeitbeschäftigung machte. Dass Leonard all dies Madeleine nicht sagen konnte, ohne sie zu verärgern, ließ die Tiefe des sozialen Abgrunds zwischen ihnen erahnen. In Portland war in der Nähe seines Hauses ein öffentlicher Tennisplatz gewesen, alt, rissig und die meiste Zeit teilweise überschwemmt. Er und Godfrey waren zum Kiffen dorthin gegangen. Näher als das kam Leonard dem Tennisspielen nie. Madeleine dagegen stand im Juni und Juli zwei Wochen lang jeden Morgen früh auf, um sich auf ihrem tragbaren Trinitron-Fernseher, den sie in Leonards Wohnung aufgestellt hatte, die Frühstücksübertragung aus Wimbledon anzusehen. Von der Matratze aus beobachtete Leonard erschöpft, wie sie English Muffins mümmelte, während sie sich die Spiele ansah. Dort gehörte Madeleine hin: nach Wimbledon, auf den Centre Court, einen Hofknicks vor der Queen machend.
    Er sah sich an, wie sie sich Wimbledon ansah. Es machte ihn glücklich, sie da zu sehen. Er wollte nicht, dass sie wegging. Wenn Madeleine wegginge, würde er wieder allein sein, so, wie er es in seinem Elternhaus gewesen war, in seinemKopf und oft in seinen Träumen, in seinem Zimmer in der Psychiatrie.
    An die ersten Tage im Krankenhaus erinnerte er sich kaum. Sie setzten ihn unter Chlorpromazin, ein Antipsychotikum, das ihn umhaute. Er schlief vierzehn Stunden am Stück. Bei seiner Aufnahme hatte die Oberschwester alle scharfen Gegenstände aus seiner Reisetasche genommen (sein Rasiermesser, seinen Fußnagelknipser). Sie nahm seinen Gürtel mit. Sie fragte ihn, ob er irgendwelche Wertsachen bei sich habe, und Leonard übergab ihr sein Portemonnaie, das sechs Dollar enthielt.
    Er erwachte in einem kleinen Zimmer, einem Einzelzimmer, ohne Telefon und Fernseher. Zunächst sah es aus wie ein normales Krankenzimmer, doch dann bemerkte er allmählich kleine Unterschiede. Der Bettrahmen und die Gelenke des Bettklapptischs waren zusammengeschweißt und hatten weder Schrauben noch Bolzen, die sich herausziehen ließen, um sich daran zu schneiden. Der Kleiderhaken war nicht an der Tür befestigt, sondern hing an einem Gummiseil, das sich unter Übergewicht dehnte, damit man sich nicht daran aufhängen konnte. Leonard durfte die Tür nicht schließen. Weder seine Tür noch alle anderen Türen in der Abteilung, einschließlich der Toiletten, hatten ein Schloss. Überwachung war ein Hauptmerkmal der psychiatrischen Abteilung: Er war sich ständig bewusst, beobachtet zu werden. Seltsamerweise tröstete ihn das. Die Schwestern wunderten sich nicht über den Zustand, in dem er sich befand. Sie meinten nicht, er sei schuld daran. Sie behandelten ihn so, als hätte er sich bei einem Sturz oder einem Autounfall verletzt. Ihre halb gelangweilte Pflege bewirkte wahrscheinlich mehr als alles andere – sogar mehr als die Medikamente   –, dass Leonard diese ersten dunklen Tage überstand.
    Leonard war ein sogenannter Selbsteinweiser, was bedeutete, dass er, wenn er wollte, jederzeit wieder gehen konnte. Er hatte eine Einwilligung unterschrieben, dass er dem Krankenhaus vierundzwanzig Stunden vorher Bescheid geben würde. Er willigte ein, sich medikamentös behandeln zu lassen, die Regeln der Abteilung zu befolgen, bestimmte Standards in Sachen Sauberkeit und Hygiene einzuhalten. Er unterschrieb alles, was sie ihm vorlegten. Einmal in der Woche durfte er sich rasieren. Ein Hilfspfleger brachte ihm einen Wegwerfrasierer, stand dabei, während Leonard ihn benutzte, und nahm ihn dann wieder mit. Sie erlegten ihm einen strengen Tagesablauf auf, weckten ihn um sechs Uhr morgens zum Frühstück und begleiteten ihn vor den Besuchsstunden am Nachmittag durch eine Reihe von täglichen Aktivitäten   – Therapie, Gruppentherapie, Bastelstunde, wieder Gruppentherapie, Sport. Um neun Uhr abends ging das Licht aus.
    Jeden Tag kam Dr.   Shieu vorbei, um mit ihm zu reden. Shieu war eine kleine Frau mit pergamentener Haut und munterem Auftreten. Sie schien hauptsächlich an einem interessiert: ob Leonard selbstmordgefährdet war oder nicht.
    «Guten Morgen, Leonard, wie fühlen Sie sich heute?»
    «Erschöpft. Deprimiert.»
    «Fühlen Sie sich selbstmordgefährdet?»
    «Nicht aktiv.»
    «Soll das ein

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