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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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machen, Leonard? Was? Sag’s mir!»
    «Ich bin im Krankenhaus, Mom. Ich bin in der Psychiatrie.»
    «Das weiß ich, Leonard. Deshalb rufe ich ja an, Herrgott noch mal. Die Ärztin hat mir gesagt, du würdest deine Medikamente nicht mehr nehmen.»
    Leonard gab das durch Schweigen zu.
    «Was ist denn bloß mit dir, Leonard?», fragte Rita.
    Wut flackerte in ihm auf. Einen Moment lang fühlte es sich an wie in alten Zeiten. «Na schön, also. Zunächst mal sind meine beiden Eltern Alkoholiker. Die Mutter ist wahrscheinlich selbst manisch-depressiv, nur wurde das nicht diagnostiziert. Von ihr hab ich das Leiden geerbt. Wir haben beide die gleiche Krankheitsform. Bei uns gibt’s keinen raschen Wechsel der Phasen. Wir schlittern nicht in wenigen Stunden vom High zum Down. Wir schwimmen auf diesen langen Wellen von Manie oder Depression. Mein Gehirn ist chemisch ausgehungert nach den Neurotransmittern, die es braucht, um meine Stimmungen auszugleichen, und manchmal hat es wieder zu viele davon. Ich bin biologisch wegen meiner Erbanlagen verkorkst und psychologisch wegen meiner Eltern, das ist mit mir,
Mom

    «Und benimmst dich immer noch wie ein großes Baby, wenn du krank bist», sagte Rita. «Ich erinnere mich, wie du dich bei jedem Schnupfen endlos aufregen konntest.»
    «Das hier ist kein Schnupfen.»
    «Ich weiß», sagte Rita und hörte sich zum ersten Mal einsichtig und besorgt an. «Es ist ernst. Ich habe mit der Ärztin gesprochen. Ich mache mir große Sorgen um dich.»
    «Das hört man dir nicht an.»
    «Doch, doch. Aber Leonard, Schätzchen, hör zu. Du bist jetzt erwachsen. Als das schon mal passierte und ich erfuhr, dass du im Krankenhaus bist, bin ich doch gleich dort hingeeilt, oder? Aber ich kann nicht mein Leben lang jedes Mal irgendwohin eilen, wenn du vergisst, deine Tabletten zunehmen. Das ist nämlich schon alles, weißt du. Deine Vergesslichkeit.»
    «Ich war bereits krank», sagte Leonard. «Deshalb habe ich aufgehört, mein Lithium zu nehmen.»
    «Das ergibt keinen Sinn. Wenn du deine Tabletten genommen hättest, wärst du nicht krank geworden. Jetzt hör mir mal zu, Leonard, Schätzchen. Du bist nicht mehr über mich versichert. Ist dir das klar? Als du einundzwanzig wurdest, haben sie dich aus meiner Versicherung genommen. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bezahle das Krankenhaus. Das tue ich diesmal, obwohl ich nicht im Geld schwimme. Glaubst du etwa, dein Vater würde dir helfen? Nein. Ich tue es. Aber sobald du entlassen wirst, musst du dich selbst versichern.»
    Als Leonard das hörte, verspürte er stechende Angst. Er umklammerte den Hörer, und ihm wurde schwarz vor Augen. «Wie soll ich denn zu einer Versicherung kommen, Mom?»
    «Wie meinst du das? Du beendest das College und suchst dir eine Stelle wie jeder andere auch.»
    «Ich werde das College nicht beenden!», schrie Leonard. «Ich habe drei Kurse nicht abgeschlossen!»
    «Dann schließ sie ab! Du musst allmählich lernen, für dich selbst zu sorgen, Leonard. Hörst du? Du bist jetzt erwachsen, und ich kann es nicht mehr. Nimm deine Tabletten, damit das nicht wieder passiert.»
    Statt selbst nach Providence zu kommen, schickte sie seine Schwester. Janet kam übers Wochenende von San Francisco, wo sie bei Gump’s einen Job im Marketing angenommen hatte. Sie lebte mit irgendeinem Kerl namens Ted zusammen, einem älteren, geschiedenen Mann, der ein Haus in Sausalito hatte, und sie erwähnte eine Geburtstagsparty, die sie verpasste, und ihren anspruchsvollen Chef, um Leonard unterdie Nase zu reiben, was für ein gewaltiges Opfer sie brachte, indem sie kam und seine Hand hielt. Janet schien ernsthaft zu glauben, ihre Probleme wären wichtiger als das, womit Leonard fertigwerden musste. «Ich könnte auch depressiv werden, wenn ich es zuließe», sagte sie. «Aber ich lasse es nicht zu.» Einige der anderen Patienten im Aufenthaltsraum versetzten sie sichtlich in Panik, und sie sah dauernd auf die Uhr. Es war eine Erleichterung, als sie am Sonntag endlich wieder abflog.
    Inzwischen hatten die Abschlussprüfungen begonnen. Leonards Besucherstrom verringerte sich auf einen oder zwei am Tag. Er fing an, für die Rauchpausen zu leben. Nachmittags und abends gab die Oberschwester Zigaretten und sonstige Tabakwaren aus. Tabakkauen war nicht erlaubt, deshalb nahm Leonard, worauf James und Maurice, die anderen beiden in seinem Alter, standen: feuchte, dünne Zigarillos namens Backwoods, die in Folie verpackt waren. Sie gingen, entweder von Wendy

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