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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Energie oder Neugier, nichts von seiner alten Vitalität. Bei Sonnenuntergang gingen sie am Strand spazieren. Manisch-depressiv zu sein machte Leonard nicht weniger groß. Madeleine passte immer noch perfekt in seinen Arm. Aber sogar die Natur war ihm jetzt versaut worden.
    «Findest du, es riecht hier nach was?», fragte er.
    «Es riecht nach Ozean.»
    «Ich rieche nichts.»
    Manchmal fuhren sie zum Mittag- oder Abendessen nach P’town. Leonard versuchte, so gut er konnte, einen Tag nach dem anderen anzugehen. Er erledigte seine Arbeit im Labor und stand tapfer den Abend durch. Er versuchte, sein Stressniveau so niedrig wie möglich zu halten. Aber eine Woche nachdem MacGregors Nobelpreis verkündet worden war, erzählte Madeleine ihm auf dem Abendspaziergang, ihre Schwester Alwyn habe eine «Ehekrise» und ihre Mutter komme mit ihr aufs Cape, um die Sache zu besprechen.
    Leonard graute immer davor, die Eltern eines Mädchens kennenzulernen, mit dem er zusammen war. Wenn die Trennung von Madeleine im vergangenen Frühjahr und sein darauffolgender Zusammenbruch etwas Gutes gehabt hatten, so war es der Wegfall seiner Verpflichtung gewesen, Mr. und Mrs.   Hanna bei der Abschlussfeier zu treffen. Da er nicht wild darauf war, ihnen in seinem aufgedunsenen, wackeligen Zustand gegenüberzutreten, hatte er den ganzen Sommer über eine Begegnung vermieden, indem er sich in Providence versteckt hielt. Weitere Ausflüchte waren jetzt aber nicht mehr möglich.
    Der Tag begann denkwürdig, wenn auch etwas zu früh, mit den Geräuschen von Jaitly und Alicia, die sich im Apartmentüber ihnen verlustierten. Das Gebäude, in dem sie wohnten, Starbuck, war eine ausgebaute Scheune und überhaupt nicht schallgedämpft. Es klang nicht bloß, als wären Jaitly und Alicia im selben Zimmer mit ihnen. Es klang, als wären sie im selben Bett, trieben es direkt zwischen Madeleine und Leonard und zeigten ihnen, wie man es macht.
    Nachdem die Lage sich beruhigt hatte, stand Leonard auf, um zu pinkeln. Mit seinem Morgenkaffee schluckte er drei Lithium-Tabletten und beobachtete dabei das Morgengrauen über der Bucht. Eigentlich fühlte er sich ganz passabel. Er dachte, es könnte einer seiner guten Tage werden. Er zog sich etwas besser an als sonst, wählte eine Khakihose und ein weißes Hemd. Im Labor ließ er Violent Femmes auf dem Ghettoblaster dröhnen und begann, ein paar Proben zu präparieren. Als Jaitly hereinkam, lächelte Leonard ihn an.
    «Wie hast du geschlafen, Vikram?»
    «Gut.»
    «Irgendwelche wunden Stellen von der Matratze?»
    «Was, hast du vielleicht – du Arsch!»
    «Ich kann doch nichts dafür. Ich hab nur im Bett gelegen und mich um meinen eigenen Kram gekümmert.»
    «Okay, Alicia kommt eben nur am Wochenende. Du hast Madeleine die ganze Zeit.»
    «In der Tat, Vikram. In der Tat.»
    «Hast du uns wirklich gehört?»
    «Aber nein. Ich rede nur so daher.»
    «Sag Alicia nichts. Es wäre ihr peinlich! Versprochen?»
    «Ich werde schweigen wie ein Grab», sagte Leonard.
    Gegen zehn Uhr zog dann aber der geistige Nebel auf. Leonard hatte Kopfschmerzen. Seine Fußgelenke waren so geschwollen von Wassereinlagerungen, dass er sich fühlte wie der zwischen dem Dreißiggradraum und der Außenwelthin- und herstapfende Godzilla. Als er später einen Kamm aus einer Gießschale nahm, zitterten seine Hände und verursachten Blasen im Gel, sodass er die Gießschale wegwerfen und noch einmal von vorn anfangen musste.
    Jetzt hatte er auch Magen-Darm-Probleme. Die Tabletten mit Kaffee auf leeren Magen zu nehmen war keine gute Idee gewesen. Da er die Toilette im Labor nicht mit Gestank erfüllen wollte, ging Leonard in der Mittagspause in sein Apartment hinüber, wo er erfreut feststellte, dass Madeleine schon ihre Mutter und Schwester abholen gefahren war. Er schloss sich mit
Liebe und Napalm
im Klo ein und hoffte, es schnell erledigen zu können, doch nach der Entleerung fühlte er sich so beschmutzt, dass er sich auszog und duschte. Statt seine gute Kleidung wieder anzuziehen, schlüpfte er in Shorts und ein T-Shirt und band sich ein Bandana um den Kopf. Vor ihm lag ein längerer Aufenthalt im Dreißiggradraum, und er wollte es bequem haben. Er steckte eine Dose Skoal in einen Baumwollstrumpf und ging schwerfüßig zurück ins Labor.
    Nachmittags kam Madeleine mit ihrer Mom und ihrer Schwester vorbei. Phyllida war förmlicher, aber zugleich weniger einschüchternd, als er erwartet hatte. Ihr Bostoner Patrizierakzent, den Leonard zum

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