Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
noch eine andere Möglichkeit.
    «Hast du ihr gesagt, dass ich manisch-depressiv bin?»
    Madeleine blickte zu Boden. «Sie weiß es», sagte sie.
    «Du hast es ihr gesagt!»
    «Nein, hab ich nicht. Es war Alwyn. Sie hat im Bad deine Tabletten gefunden.»
    «Deine Schwester ist meine Sachen durchgegangen? Und ich bin der mit den schlechten Manieren?»
    «Ich hatte deshalb einen Riesenkrach mit ihr.»
    Leonard ging zum Sofa, setzte sich neben Madeleine und nahm ihre Hände. Er fühlte sich peinlicherweise den Tränen nahe.
    «Mag deine Mutter mich deshalb nicht?», sagte er kläglich. «Wegen meiner manischen Depression?»
    «Es ist nicht nur das. Sie glaubt einfach nicht, dass wir zusammenpassen.»
    «Wir passen toll zusammen!», sagte er, bemühte sich zu lächeln und schaute ihr, nach Bestätigung heischend, in die Augen.
    Aber Madeleine erwiderte seinen Blick nicht. Vielmehr starrte sie stirnrunzelnd auf ihre Hände in seinen.
    «Ich weiß es nicht mehr», sagte sie.
    Sie zog die Hände weg und klemmte sie sich unter die Arme.
    «Was ist es dann?», sagte Leonard, der es unbedingt wissen wollte. «Ist es wegen meiner Familie? Weil ich arm bin? Weil ich finanzielle Unterstützung bekommen habe?»
    «Das hat nichts damit zu tun.»
    «Macht sich deine Mutter Sorgen, ich könnte meine Krankheit an unsere Kinder weitergeben?»
    «Leonard, hör auf.»
    «Warum sollte ich aufhören? Ich will es wissen. Du sagst, deine Mutter mag mich nicht, aber du willst nicht sagen, warum.»
    «Sie mag dich einfach nicht, das ist alles.»
    Madeleine stand auf und nahm ihren Mantel vom Stuhl. «Ich geh ein Weilchen raus», sagte sie.
    «Jetzt verstehe ich, weshalb du diese Zeitschrift gekauft hast», sagte Leonard, unfähig, seine Verbitterung zu verbergen. «Du hoffst, eine Heilmethode zu finden.»
    «Was spricht dagegen? Möchtest du nicht, dass es dir bessergeht?»
    «Tut mir leid, dass ich an einer psychischen Krankheit leide, Madeleine. Ich weiß, es ist furchtbar ungehobelt. Hätten mich meine Eltern nur besser erzogen, wäre ich vielleicht nicht so.»
    «Das ist unfair!», schrie Madeleine und brauste zum ersten Mal vor Wut richtig auf. Sie drehte sich weg, als wäre sie von ihm angewidert, und verließ das Apartment.
    Leonard stand wie angewurzelt da. Seine Augen füllten sich, doch wenn er schnell genug blinzelte, liefen keine Tränen heraus. Sosehr er das Lithium hasste, hier war es sein Freund. Leonard konnte die riesige Flut von Traurigkeit spüren,die darauf wartete, über ihn hereinzubrechen. Aber es gab einen unsichtbaren Damm, der ihn davor schützte, sich der Realität zu stellen. Es war, wie wenn man einen Plastikbeutel voll Wasser zusammendrückt und die Eigenschaften des Wassers spürt, ohne nass zu werden. Also gab es zumindest das, wofür er dankbar sein sollte. Das ruinierte Leben war nicht ganz seines.
    Er setzte sich auf das Sofa. Durchs Fenster sah er die nächtliche Brandung, die Kämme der Wellen fingen das Mondlicht ein. Das schwarze Wasser erzählte ihm einiges. Es erzählte ihm, dass er aus dem Nichts kam und ins Nichts zurückkehren würde. Er war nicht so intelligent, wie er geglaubt hatte. Er würde in Pilgrim Lake scheitern. Selbst wenn er es schaffte, sein Stipendium bis Mai zu behalten, würde er nicht eingeladen werden wiederzukommen. Er hatte kein Geld für das Masterstudium, ja nicht einmal genug, um eine Wohnung zu mieten. Er wusste nicht, was er sonst mit seinem Leben anfangen konnte. Die Angst, mit der er aufgewachsen war, die Angst, nicht genug Geld zu haben – von der noch so viele Stipendien und Förderungen ihn nicht hatten befreien können   –, kehrte mit unverminderter Wucht zurück. Madeleines Gefeitsein gegen materielle Not, das wurde ihm jetzt bewusst, war immer Teil ihrer Anziehung auf ihn gewesen. Er hatte gedacht, ihr Geld wäre ihm egal, bis zu diesem Augenblick, da ihm klarwurde, dass, wenn sie ginge, ihr Geld mit ihr gehen würde. Leonard glaubte nicht eine Minute lang, dass die Einwände von Madeleines Mutter gegen ihn nur mit seiner manisch-depressiven Störung zu tun hatten. Die manisch-depressive Störung war nur das statthaftere ihrer Vorurteile. Sie konnte nicht begeistert davon gewesen sein, dass er statt zum alten Geldadel nur zum alten Portland gehörte oder dass er für siewie einer aus einer Motorradgang aussah oder nach billigen Tankstellenzigarren roch.
    Er lief Madeleine nicht nach. Sein Verhalten war schon verzweifelt und schwach genug. Jetzt war es Zeit, soweit

Weitere Kostenlose Bücher