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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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möglich, etwas Rückgrat zu zeigen und loszupowern. Das erreichte er, indem er langsam zur Seite fiel, bis er eingerollt wie ein Embryo auf dem Sofa lag.
    Leonard dachte nicht über Madeleine, Phyllida oder Kilimnik nach. Auf dem Sofa liegend, dachte er an seine Eltern, zwei planetengroße Wesen, die seine gesamte Existenz umkreisten. Und weg war er, zurück in der ewig wiederkehrenden Vergangenheit. Wer in einem Haushalt aufwächst, in dem er nicht geliebt wird, weiß nicht, dass es dazu eine Alternative gibt. Wer bei emotional verkümmerten Eltern aufwächst, die eine unglückliche Ehe führen und dazu neigen, ihr Unglück über ihre Kinder kommen zu lassen, weiß nicht, dass sie das tun. Es ist einfach sein Leben. Wem ein Malheur passiert ist, als er vier war und ein großer Junge sein sollte, und wem später beim Abendessen ein Teller mit Kot hingestellt wird – wem befohlen wird, den leer zu essen, weil man Kot doch mag, oder, du musst das eigentlich mögen, sonst würden dir ja nicht so viele Malheurs passieren   –, der weiß nicht, dass so etwas in den Häusern nebenan nicht vorkommt. Wer erleben muss, dass der Vater die Familie verlässt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet und die Mutter ihm, als er älter wird, grollt, weil er dasselbe Geschlecht hat wie der Vater, hat keinen, an den er sich wenden kann. In all diesen Fällen ist der Schaden angerichtet, bevor man überhaupt weiß, dass man Schaden genommen hat. Das Schlimmste daran ist, dass die Erinnerungen in der Form, wie man sie in einem Geheimfach in seinem Kopf aufbewahrt, indem man sie von Zeit zu Zeit hervorkramtund hin und her wendet, im Lauf der Jahre zu so etwas wie teuren Besitztümern für einen werden. Sie sind der Schlüssel zum eigenen Elend, der Beweis dafür, dass das Leben ungerecht ist. Wer kein glückliches Kind ist, weiß nicht, dass er nicht glücklich ist, bis er älter wird. Und dann denkt man über nichts anderes mehr nach.
    Schwer zu sagen, wie lange Leonard so dalag. Aber nach geraumer Zeit ging ihm ein Licht auf, und er fuhr hoch. Offenbar war sein Gehirn doch noch nicht ganz zerfressen, denn er hatte gerade eine glänzende Idee gehabt. Eine Idee, wie er auf einen Schlag Madeleine halten, Phyllida besiegen und Kilimnik austricksen konnte. Er sprang vom Sofa. Schon auf dem Weg ins Bad fühlte er sich fünf Pfund leichter. Es war spät. Zeit, sein Lithium zu nehmen. Er machte das Fläschchen auf und schüttelte vier Tabletten zu 300   Milligramm heraus. Er hätte drei davon nehmen sollen. Doch er nahm nur zwei. Er nahm 600   Milligramm statt seiner üblichen 900, und dann steckte er die übrigen Tabletten wieder in die Flasche und machte den Deckel zu   …
     
    Es hatte eine Weile gedauert, bis etwas geschah. Die Droge schlich sich ein und schlich sich wieder aus. In den ersten zehn Tagen fühlte Leonard sich genauso dick, langsam und stupide wie immer. Doch irgendwann im Verlauf der zweiten Woche erlebte er Phasen mentaler Aufgewecktheit und erwachender Lebensgeister, die sich sehr nach seinem besten früheren Ich anfühlten. Weise Gebrauch davon machend, begann er zu joggen und im Fitnesszentrum zu trainieren. Er nahm ab. Der Bisonhöcker verschwand.
    Leonard verstand, weshalb Psychiater tun, was sie tun. Gegenüber einem manisch-depressiven Patienten war ihr vorrangiges Ziel, die Symptome verschwinden zu lassen. Angesichtsder hohen Selbstmordrate bei Manisch-Depressiven war das die umsichtige Vorgehensweise. Das fand auch Leonard. Anderer Meinung war er allerdings beim Umgang mit der Krankheit. Die Ärzte empfahlen Geduld. Sie behaupteten steif und fest, der Körper werde sich schon darauf einstellen. Und bis zu einem gewissen Punkt tat er das ja auch: Nach einer Weile stand man so lange unter Drogen, dass man sich nicht mehr daran erinnern konnte, wie es gewesen war, normal zu sein.
So
stellte man sich ein.
    Leonard fand, eine bessere Behandlungsart der manischdepressiven Störung wäre es, den
sweet spot
in jenen unteren Regionen der Manie zu suchen, wo die Nebenwirkungen gleich null waren und die Energie die Schallmauer durchbrach. Man wollte doch die Früchte der Manie genießen, ohne auszurasten. Es war, wie eine Maschine bei maximaler Leistung laufen zu lassen, sodass alle Kolben zünden und bei vollständiger Verbrennung, ohne Überhitzung und ohne Pannen, maximale Geschwindigkeit erzeugen.
    Was war aus Dr.   Gehtgut geworden? Wo war er hin? Jetzt bekam man es allenfalls mit Dr.   Gehtschon zu tun. Mit Dr.

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