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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Restaurants hatten nach dem Labor Day allmählichzugemacht. Jetzt, zwei Wochen vor Weihnachten, hatten nur noch ein paar geöffnet. The Lobster Pot war zu. Das Napi’s war auf. Das Front Street war auf. The Crown and Anchor war zu.
    Deshalb war er erfreut, im Governor Bradford ein Grüppchen Mittagsgäste vorzufinden. Er kletterte auf einen Barhocker, sah hinauf zum Fernseher und versuchte, wie jemand auszusehen, der nur einen Gedanken im Kopf hat und nicht fünfzig. Als der Barkeeper zu ihm kam, sagte Leonard: «Sind Sie Governor Bradford?»
    «Bin ich nicht.»
    «Ich möchte ein großes Guinness, bitte», sagte Leonard, drehte sich auf seinem Barhocker und warf einen Blick auf die anderen Gäste. Sein Kopf wurde heiß, aber er wollte seine Mütze nicht absetzen.
    Von den vier weiblichen Gästen in der Bar waren drei mit Fellpflege beschäftigt, indem sie sich mit den Händen durchs Haar strichen, um so auf ihre Paarungsbereitschaft hinzuweisen. Die männlichen Gäste gingen darauf ein, indem sie die Stimme senkten und bisweilen die Weibchen begrapschten. Wenn man über menschliche Eigenschaften wie Sprache und Bekleidung hinwegsah, wurde das Primatenverhalten offensichtlicher.
    Als das Guinness kam, drehte Leonard sich wieder zurück, um davon zu trinken.
    «Sie müssen Ihre Kleeblatttechnik noch verfeinern», sagte er, in sein Glas blickend.
    «Wie bitte?»
    Leonard deutete auf die Schaumkrone: «Das sieht nicht aus wie ein Kleeblatt. Es sieht aus wie die Zahl Acht.»
    «Sind Sie Barkeeper?»
    «Nein.»
    «Dann ist das nicht Ihr Bier, sag ich mal.»
    Leonard grinste. Er sagte: «Prost», und schlürfte das sämige Starkbier in sich hinein. Ein Teil von ihm wollte den ganzen restlichen Nachmittag in der Bar bleiben. Wollte Football schauen und Bier trinken. Wollte den Menschenweibchen bei der Fellpflege zusehen und beobachten, welches Primatenverhalten sie sonst noch zur Schau stellten. Auch er war natürlich ein Primat, im gegenwärtigen Kontext ein einzelgängerisches Männchen. Einzelgänger machten allen möglichen Ärger. Es wäre wahrscheinlich lustig gewesen zu sehen, was er da anstellen konnte. Doch empfing er negative Schwingungen vom Barkeeper und hatte Lust, noch weiter zu gehen, deshalb zog er, als er ausgetrunken hatte, einen Zehndollarschein aus der Jeanstasche und legte ihn auf die Bar. Ohne auf das Wechselgeld zu warten, schwang er sich vom Hocker und stürzte sich in die klirrende Kälte.
    Der Himmel hatte bereits zu dunkeln begonnen. Es war erst kurz nach zwei, und schon lag der Tag im Sterben. Noch im Hinaufstarren spürte Leonard, wie sich seine Stimmung verdüsterte. Seine vorangegangene geistige Munterkeit schwächte sich allmählich ab. Es war ein Fehler gewesen, das Guinness zu trinken. Er steckte die Hände in die Jeans und schaukelte auf den Absätzen vor und zurück. Und mehr war nicht nötig. Als weitere Bestätigung seines glänzenden Schachzugs spürte er, kaum dass seine Energie nachließ, wie sie wieder aufgefüllt wurde, als spritzten winzige Ventile das Lebenselixier in seine Arterien.
    Von der Chemie in seinem Gehirn in der Balance gehalten, schlenderte er die Commercial Street entlang. Ein Stück vor ihm ging ein Typ mit Lederjacke und Lederkappe die Treppe zum Vault hinunter. Wummernde Musik drang aus der Bar auf die Straße, bis er die Tür hinter sich schloss.
    Homosexualität war aus darwinistischer Sicht ein interessantes Thema. Ein Erbmerkmal, das eine Population für unfruchtbare sexuelle Beziehungen anfällig machte, hätte zum Verschwinden seiner selbst führen sollen. Doch die Jungs im Vault bewiesen etwas anderes. Es musste an einer Art autosomalen Übertragung liegen, bei der die entsprechenden Gene auf schwesterlichen X-Chromosomen trampten.
    Leonard ging weiter. Er betrachtete die Skulpturen aus Treibholz in den geschlossenen Kunstgalerien und die homoerotischen Postkarten in den Schaufenstern eines noch geöffneten Schreibwarenladens. Genau in diesem Moment bemerkte er etwas Überraschendes. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schien ein Laden für Salzwassertoffees offen zu sein. Die Neonreklame im Schaufenster war an, und er sah, dass sich drinnen eine Gestalt bewegte. Etwas Geheimnisvolles, aber Beharrliches, etwas, was an seine eigene Primatennatur appellierte, bewog ihn dazu, näher heranzugehen. Er betrat den Laden, wobei er an der Tür ein Klingeln auslöste. Der Gegenstand des Interesses, den seine Zellen ihm angezeigt hatten, entpuppte sich als ein

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