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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Vegemite-Hefeextrakt, kam herein, gefolgt von zwei Frauen mit kajalumrandeten Augen und Zehenringen.
    «Wisst ihr, warum ich hier bin?», sagte Mike. «Ich bin hier, weil ich meinen Job verloren hab. Die Wirtschaft ist im Keller, da dachte ich mir, was soll’s, geh ich doch nach Indien. Der Wechselkurs ist unschlagbar.»
    Er fing an, eine umfassende Liste all der Orte aufzusagen, an denen er fast umsonst übernachtet, und all der Dinge, die er sich für so gut wie nichts geleistet hatte. Bahnfahrkarten, vegetarische Currygerichte, Hütten am Strand von Goa, Massagen in Bangkok.
    «Ich war in Chiang Mai, bei den Bergstämmen – wartihr mal bei den Bergstämmen? Die sind wild. Wir hatten so einen Führer, der uns in den Dschungel mitgenommen hat. Wir haben in einer Hütte gewohnt, und einer der Typen aus dem Stamm, der Medizinmann oder was, kommt mit Opium vorbei. Fünf Dollar! Für so einen Riesenbatzen. Mann, was waren wir stoned.» Er wandte sich an Mitchell: «Hast du schon mal Opium geraucht?»
    «Einmal», sagte Mitchell.
    Bei dieser Antwort wurden Herbs Augen groß. «Das überrascht mich aber», sagte er. «Das überrascht mich wirklich. Ich hätte gedacht, Christen missbilligen so was.»
    «Das kommt darauf an, was der Opiumraucher damit bezweckt», sagte Mitchell.
    Herb kniff die Augen zusammen. «Da ist aber jemand heute Morgen ein bisschen feindselig», sagte er.
    «Nein», sagte Mitchell.
    «Doch, ist er.»
    Wenn Mitchell jemals ein guter Christ werden wollte, würde er aufhören müssen, eine so intensive Abneigung gegen bestimmte Menschen zu haben. Aber es war vielleicht zu viel verlangt, damit ausgerechnet bei Herb anzufangen.
    Zum Glück dauerte es nicht mehr lange, bis Herb vom Tisch aufstand.
    Mike wartete, bis er außer Hörweite war. Dann sagte er: «Puna. Klingt wie Pussi. Orgien gehören da doch zum Geschäft. Der Bhagwan schreibt den Männern Gummis vor. Weißt du, was sie dann zueinander sagen? Sie sagen: ‹Ich beschütze dich.›»
    «Vielleicht solltest du mitmachen», sagte Mitchell.
    «‹Ich beschütze dich›», spottete Mike. «Mann. Und die Tussen schlucken das. Lutsch mir den Schwanz für den inneren Frieden. Was für ein Schwindel.»
    Er schnaubte wieder und stand vom Tisch auf. «Ich muss scheißen gehen», sagte er. «Woran ich mich hier nicht gewöhnen kann? Diese asiatischen Toiletten. Einfach Löcher im Boden, ganz verschissen. Ekelhaft.»
    «Eine andere Technik», sagte Mitchell.
    «Es ist unzivilisiert», meinte Mike, winkte und verließ den Speisesaal.
    Endlich allein, trank Mitchell noch mehr Tee und sah sich den Raum an, seine verblasste Eleganz, die geflieste Veranda voller Topfpflanzen, die weißen Säulen mit den verunstaltenden elektrischen Kabeln, die die rattanflügeligen Deckenventilatoren mit Strom versorgten. Zwei indische Kellner in schmutzigen weißen Jacken huschten zwischen den Tischen herum und bedienten Reisende in Seidentüchern und Baumwollschnürhosen. Der Mitchell direkt gegenüber sitzende langhaarige Typ mit rötlich braunem Bart war ganz in Weiß gekleidet, wie John Lennon auf dem Cover von
Abbey Road
.
    Mitchell hatte immer gedacht, er sei zu spät geboren, um ein Hippie zu sein. Aber da lag er falsch. Es war das Jahr 1983, und Indien war voll von ihnen. Wie Mitchell es sah, waren die sechziger Jahre ein angloamerikanisches Phänomen gewesen. Er fand es nicht richtig, dass die Kontinentaleuropäer, die keine anständige eigene Rockmusik hervorgebracht hatten, von ihr beeinflusst werden, twisten, Kommunen gründen und mit starkem Akzent Songtexte von Pink Floyd singen durften. Dass die Schweden und Deutschen, denen er in Indien begegnete, in den achtziger Jahren noch Glasperlenketten trugen, bestätigte nur Mitchells Vorurteil, ihre Beteiligung an den sechziger Jahren sei allenfalls imitierend gewesen. Ihnen gefielen der Nudismus, die Ökologie, die Sonne-und-Gesundheit-Chose. Wie Mitchell es sah, verhieltensich die Europäer zu den Sechzigern, wie zu mehr und mehr Dingen heutzutage, hauptsächlich wie Zuschauer. Sie hatten von der Seitenlinie aus zugesehen und nach einer Weile versucht, sich anzuschließen.
    Die Hippies waren allerdings nicht die einzigen Langhaarigen im Speisesaal. Von der Rückwand herabblickend, war da Jesus Christus höchstpersönlich. Auf dem Wandbild, das es, soweit Mitchell wusste, in jedem Heilsarmeehauptquartier rund um die Welt gab, war der Menschensohn von einem himmlischen Lichtstrahl beleuchtet und starrte mit

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