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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Restaurant an der Ecke, das auf Rucksackreisende abzielte, servierte Bananenpfannkuchen und Hamburger aus dem Fleisch von Wasserbüffeln. Mike behauptete, in der nächsten Parallelstraße gebe es Bhang-Lassis.
    Die meisten Leute kamen nicht nach Indien, um freiwilligfür einen katholischen Nonnenorden zu arbeiten. Die meisten kamen, um Ashrams zu besuchen, Ganja zu rauchen und von fast nichts zu leben. Eines Morgens, als Mitchell zum Frühstück in den Speisesaal gekommen war, hatte dort Mike mit einem ganz in Rot gekleideten, etwa 6 0-jährigen Kalifornier am Tisch gesessen.
    «Ist da noch frei?», fragte Mitchell und deutete auf einen unbesetzten Stuhl.
    Der Kalifornier, der Herb hieß, blickte auf, um Mitchell in die Augen zu sehen. Herb betrachtete sich als spirituellen Menschen. Die Art, wie er Blicken standhielt, machte das deutlich. «Unser Tisch ist dein Tisch», sagte er.
    Mike mampfte ein Stück Toast. Nachdem Mitchell sich gesetzt hatte, schluckte Mike und sagte zu Herb: «Erzähl weiter.»
    Herb nippte an seinem Tee. Sein Haar lichtete sich, und er hatte einen zottigen grauen Bart. Um den Hals hing ihm ein Medaillon mit einem Foto des Bhagwan Shree Rajneesh.
    «In Puna ist eine phantastische Energie», sagte Herb. «Du kannst sie spüren, wenn du da bist.»
    «Von der Energie hab ich schon gehört», sagte Mike und zwinkerte Mitchell zu. «Da würde ich vielleicht gern mal hinfahren. Wo liegt Puna eigentlich?»
    «Südöstlich von Bombay», sagte Herb.
    Ursprünglich hatten die Sannyasins oder «Anhänger», wie sie sich selbst nannten, safrangelbe Kleidung getragen. Doch kürzlich hatte der Bhagwan entschieden, es sei zu viel Safran im Umlauf. Also hatte er Order an seine Jünger ausgegeben, von nun an Rot zu tragen.
    «Was macht ihr denn da?», fragte Mike jetzt. «Ich hab gehört, da gibt’s Orgien.»
    In Herbs mildem Lächeln lag Toleranz. «Lass mich malversuchen, es so auszudrücken, dass du es verstehst», sagte er. «Nicht die Taten an sich sind gut oder böse. Sondern das, was man mit ihnen bezweckt. Für viele Menschen macht man die Sache am besten einfach: Sex ist schlecht. Sex ist verboten. Aber für andere, die, sagen wir mal, einen höheren Grad der Erleuchtung erreicht haben, werden die Kategorien Gut und Böse hinfällig.»
    «Willst du damit sagen, es gibt da tatsächlich Orgien?», bohrte Mike weiter.
    Herb sah Mitchell an. «Unser Freund hier hat nur das eine im Kopf.»
    «Na gut», sagte Mike. «Wie ist es mit der Levitation? Ich hab gehört, Leute schweben.»
    Herb umfasste seinen grauen Bart mit beiden Händen. Schließlich gab er zu: «Leute schweben.»
    Während dieses ganzen Gesprächs beschäftigte Mitchell sich damit, Toast mit Butter zu bestreichen und Rohzuckerstücke in seine Teetasse fallen zu lassen. Es war wichtig, so viel Toast wie möglich hinunterzuschlingen, bevor der Kellner aufhörte, welchen zu bringen.
    «Wenn ich nach Puna fahren würde, dürfte ich dann rein?», fragte Mike.
    «Nein», sagte Herb.
    «Auch nicht, wenn ich ganz in Rot gekleidet wär?»
    «Um in dem Ashram aufgenommen zu werden, muss man ein aufrichtiger Anhänger sein. Der Bhagwan würde sehen, dass du nicht aufrichtig bist, egal, was du anhast.»
    «Ich bin aber interessiert», sagte Mike. «Das mit dem Sex war nur Spaß. Aber die ganze Philosophie und alles, das ist interessant.»
    «Du laberst Scheiß, Mike», sagte Herb. «Ich erkenne Scheiß, wenn ich welchen höre.»
    «Ach, wirklich?», sagte Mitchell plötzlich.
    Die Provokation war deutlich, aber Herb bewahrte Tee schlürfend seinen Gleichmut. Er blickte auf Mitchells Kreuz. «Wie geht’s deiner Freundin Mutter Teresa?», fragte er.
    «Gut.»
    «Ich hab irgendwo gelesen, dass sie gerade in Chile war. Anscheinend ist sie gut mit Pinochet befreundet.»
    «Sie reist viel, um Geld zu sammeln», sagte Mitchell.
    «Mann, allmählich tu ich mir richtig leid», jammerte Mike. «Du hast den Bhagwan, Herbie. Mitchell hat Mutter Teresa. Wen habe ich? Niemand.»
    Wie der Speisesaal versuchte auch der Toast, britisch zu sein, und scheiterte. Die Brotscheiben hatten die richtige Form. Sie
sahen aus
wie Brot. Aber statt getoastet zu werden, waren sie über einem Holzkohlefeuer gegrillt worden und schmeckten nach Asche. Sogar die nicht angebrannten Scheiben hatten einen komischen unbrotartigen Geschmack.
    Es kamen immer noch Leute aus den Schlafsälen im ersten Stock zum Frühstück herunter. Eine Gruppe sonnenverbrannter Kiwis, jeder mit einem Glas

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