Die Liebeshandlung
es gehört sich nicht, so spät anzurufen, aber ich war im Labor.»
Leonard klang etwas nervös. Das war
nicht
gut. Madeleine mochte nervöse Typen nicht. Nervöse Typen hatten einen Grund, nervös zu sein. Bisher hatte Leonard eher einen gequälten als nervösen Eindruck gemacht. Gequält war besser.
«Ich glaube, das war kein vollständiger Satz», sagte sie.
«Was habe ich ausgelassen?», fragte Leonard.
«Wie wäre es damit: Würdest du gern mit mir da hingehen?»
«Und wie ich das würde», sagte Leonard.
Den Hörer in der Hand, runzelte Madeleine die Stirn. Es kam ihr vor, als hätte Leonard den ganzen Wortwechsel inszeniert wie ein Schachspieler, der acht Züge vorausdenkt. Sie wollte sich schon beklagen, als Leonard sagte: «Tut mir leid. Nicht komisch.» Er räusperte sich übertrieben. «Hör zu, würdest du gern mit mir ins Kino gehen?»
Sie antwortete nicht sofort. Er verdiente eine kleine Strafe. Und so ließ sie ihn zappeln – weitere drei Sekunden.
«Liebend gern.»
Und da war es schon, das Wort. Sie fragte sich, ob Leonard es gemerkt hatte. Sie fragte sich, was es bedeutete, dass es
ihr
aufgefallen war. Schließlich war es nur ein Wort. Eine Redensart.
Am nächsten Abend, Samstag, schlug das unbeständige Wetter um; es wurde wieder kalt. Madeleine, die in ihrer braunen Wildlederjacke losgegangen war, kam in dem Restaurant, wo sie sich verabredet hatten, ganz verfroren an. Danach machten sie sich auf den Weg zum Cable Car und fanden dort eine durchgesessene Couch zwischen den bunt gemischten Sofas und Sesseln, aus denen das Mobiliar des Programmkinos bestand.
Madeleine hatte einige Mühe, dem Film zu folgen. Die Knackpunkte der Handlung lagen nicht so klar auf der Hand wie in Hollywood-Streifen, und der Film hatte etwas Traumhaftes, schwelgend, aber gebrochen. Das Publikum, ein Collegepublikum, lachte wissend an den Stellen europäischer Pikanterie: als die Frau mit den dicken Titten ihre dicke Titte in den Mund des jungen Helden stopfte oder der alte Mann oben auf dem Baum «Ich will eine Frau!» schrie. Fellini schien dasselbe Thema zu behandeln wie Roland Barthes – die Liebe –, aber nach Art der Italiener nur über den Körper statt nach Art der Franzosen nur über den Geist. Sie fragte sich, ob Leonard vorher gewusst hatte, worum es in
Amarcord
gehen würde. Sie fragte sich, ob das gar seine Methode war, sie in Stimmung zu bringen. Der Zufall wollte es, dass sie wirklich in Stimmung war, aber nicht wegen Fellini. Der Film war schön anzusehen, doch erverwirrte sie, vermittelte ihr das Gefühl, naiv und spießig zu sein. Er kam ihr übermäßig ausschweifend und übermäßig männlich vor.
Nach der Vorstellung gelangten sie auf die South Main hinaus. Sie hatten kein verabredetes Ziel. Madeleine stellte erfreut fest, dass Leonard zwar groß, aber nicht zu groß war. Wenn sie Absätze trug, reichte der höchste Punkt ihres Kopfes über seine Schulter, beinahe an sein Kinn.
«Wie fandest du ihn?», fragte er.
«Na ja, wenigstens weiß ich jetzt, was fellinesk ist.»
Die Skyline der Stadt lag zu ihrer Linken, jenseits des Flusses, die Turmspitze des Superman Building hob sich vom unnatürlich rosagefärbten Stadthimmel ab. Bis auf die anderen, die aus dem Kino kamen, waren die Straßen leer.
«Es ist mein Lebensziel, zu einem Adjektiv zu werden», sagte Leonard. «Man würde herumgehen und sagen: ‹Das war ganz schön bankheadisch.› Oder: ‹Etwas zu bankheadisch für meinen Geschmack.›»
«Bankheadisch, das hat was», sagte Madeleine. «Ist jedenfalls besser als bankheadesk.»
«Oder bankheadsch.»
«Einfach nur
sch
ist grausam. Es gibt joyceanisch, shakespearisch, faulknerianisch. Aber einfach
sch
? Wer will schon einfach
sch
sein?
«Thomas Mannsch?»
«Kafkaesk», sagte Leonard. «Pynchonesk! Pynchon könnte man auch so als Adjektiv gebrauchen. Gaddis. Was wäre Gaddis? Gaddisesk? Gadissisch?»
«Mit Gaddis geht es irgendwie nicht richtig», sagte Madeleine.
«Tja», sagte Leonard. «Pech gehabt, Gaddis. Magst du ihn?»
«Ich habe ein bisschen in
Die Fälschung der Welt
reingelesen», sagte Madeleine.
Sie bogen in die Planet Street ein, gingen bergauf.
«Und Bellow?», sagte Leonard. «Auch schwierig, man müsste das
w
aussprechen. Nabokovisch, das russische
v
ist besser. Ja, die Russen kriegen’s gebacken. Tolstoianisch! Der hat nur drauf gewartet, ein Adjektiv zu werden.»
«Vergiss nicht den Tolstoianismus», sagte Madeleine.
«Himmel!», sagte Leonard.
Weitere Kostenlose Bücher