Die Liebeshandlung
aufgewachsen bin. Mein Dad ist in Europa. Er lebt in Antwerpen, soviel ich weiß.»
Dieser Austausch war irgendwie ermutigend. Leonard teilte persönliche Dinge mit. Andererseits ließen sie darauf schließen, dass er ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, die selbst gestört waren, und Madeleine legte größten Wert darauf, sich nur mit jemandem einzulassen, der seine Eltern mochte.
«Was macht
dein
Vater eigentlich?», fragte Leonard.
Kalt erwischt, zögerte Madeleine. «Er hat an einem College gearbeitet», sagte sie. «Aber jetzt ist er im Ruhestand.»
«Was war er? Professor?»
«Er war der Präsident.»
Leonards Gesicht zuckte. «Oh.»
«Es ist nur ein kleines College. In New Jersey. Baxter heißt es.»
Abby kam herein, um ein paar Gläser zu holen. Leonard reichte sie ihr hilfsbereit aus dem obersten Fach herunter. Als sie gegangen war, wandte er sich wieder an Madeleine undsagte, beinahe gequält: «Im Cable Car läuft am Wochenende ein Fellini-Film.
Amarcord
.»
Madeleine blickte aufmunternd zu ihm hoch. Es gab alle möglichen altmodischen Romanwörter, um zu beschreiben, wie sie sich fühlte,
flattrig
etwa. Aber sie hatte ihre Grundsätze. Einer davon war, dass jemand, der mit ihr ausgehen wollte, sie fragen musste und nicht umgekehrt.
«Ich glaube, er läuft Samstag», sagte Leonard.
«Diesen Samstag?»
«Magst du Fellini?»
Darauf zu antworten, befand Madeleine, widersprach ihrem Grundsatz nicht. «Soll ich dir was Peinliches gestehen?», sagte sie. «Ich habe noch nie einen Fellini-Film gesehen.»
«Dann wird es aber Zeit», sagte Leonard. «Ich ruf dich an.»
«In Ordnung.»
«Hab ich deine Nummer? Na klar hab ich die. Ist ja dieselbe wie Abbys.»
«Soll ich sie aufschreiben?», fragte Madeleine.
«Nein», sagte Leonard. «Ich habe sie.»
Und er richtete sich, brontosaurusartig, zu seiner vollen Größe irgendwo zwischen den Baumwipfeln auf.
Den Rest der Woche blieb Madeleine jeden Abend zu Hause und wartete auf seinen Anruf. Wenn sie nachmittags von ihren Kursen zurückkam, fragte sie ihre Mitbewohnerinnen, ob jemand für sie angerufen habe.
«Gestern hat irgendeiner angerufen», sagte Olivia am Donnerstag. «Als ich gerade unter der Dusche war.»
«Weshalb hast du mir nichts davon erzählt?»
«Tut mir leid, hab ich vergessen.»
«Wer war es?»
«Hat er nicht gesagt.»
«Klang es nach Leonard?»
«Keine Ahnung. Ich war triefnass.»
«Vielen Dank fürs Ausrichten!»
«Tuuut mir leid», sagte Olivia. «Mein Gott. Das Gespräch hat doch nur zwei Sekunden gedauert. Er wollte es später noch mal versuchen.»
Und jetzt war also Freitagabend – Freitagabend! –, und Madeleine hatte darauf verzichtet, etwas mit Abby und Olivia zu unternehmen, da sie erreichbar bleiben wollte. Sie las
Fragmente einer Sprache der Liebe
, erstaunt, wie bedeutungsvoll es für ihr Leben war.
Die Erwartung
attente
/ Warten
Angstaufwallung, die durch das Warten auf das geliebte Wesen ausgelöst wird, nach Maßgabe kleiner Verzögerungen (Verabredungen, Telefonanrufe, Briefe, Heimkehrverzögerungen).
Die Erwartung ist Verzauberung: Ich habe Weisung erhalten, mich nicht zu rühren. Das Warten auf einen Telefonanruf ist, ad infinitum, ohne dass man es sich einzugestehen wagte, mit kleinen Verboten belegt: Ich versage es mir, das Zimmer zu verlassen, auf die Toilette zu gehen, selbst zu telefonieren (um die Leitung frei zu halten) …
In der Wohnung einen Stock tiefer hörte sie den Fernseher laufen. Aus ihrem Zimmer sah man direkt auf die Kuppel des State Capitol, hell erleuchtet vor dem dunklen Himmel. Die Heizung, die sich nicht regulieren ließ, war noch an, knackte und zischte verschwenderisch.
Je länger sie darüber nachdachte, desto besser verstand Madeleine, dass «extreme Einsamkeit» nicht nur das beschrieb, was sie für Leonard empfand. Es erklärte, was sie immer empfunden hatte, wenn sie verliebt gewesen war. Es erklärte, wie Liebe sich anfühlte und was, vielleicht, daran nicht stimmte.
Das Telefon klingelte.
Madeleine setzte sich auf. Sie knickte ein Eselsohr in die Seite, die sie gerade las, und wartete, solange sie konnte (drei Klingelintervalle), bis sie den Hörer abnahm.
«Ja?»
«Maddy?»
Es war Alton, der aus Prettybrook anrief.
«Oh. Hallo, Daddy.»
«Das klingt ja nicht sonderlich begeistert.»
«Ich bin am Lernen.»
Auf seine übliche Art, ohne Nettigkeiten, kam er gleich zur Sache: «Deine Mutter und ich sprechen gerade über deine
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