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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Freitagabend im Bett saß und Erdnussbutter aus dem Glas löffelte, befand sie sich in einem Zustand extremer Einsamkeit.
    Es hatte mit Leonard zu tun. Damit, was sie für ihn empfand, und dass sie es niemandem sagen konnte. Damit, wie sehr sie ihn mochte und wie wenig sie von ihm wusste. Wie verzweifelt sie ihn wiedersehen wollte und wie schwierig das hinzukriegen war.
    Kürzlich hatte Madeleine ihre Fühler einmal aus der Einsamkeit gestreckt. Sie erzählte ihren Mitbewohnerinnen von Semiotik 211, erwähnte dabei auch Thurston, Cassandra und Leonard. Wie sich herausstellte, kannte Abby Leonard aus ihrem ersten Collegejahr.
    «Wie war er?», fragte Madeleine.
    «Irgendwie intensiv. Wirklich nett, aber intensiv. Dauernd rief er an. Ungefähr jeden Tag.»
    «Mochte er dich?»
    «Nein, er wollte nur reden. Stundenlang hielt er mich am Telefon fest.»
    «Und worüber habt ihr geredet?»
    «Über alles! Seine Beziehung. Meine Beziehung. Seine Eltern, meine Eltern. Davon, dass Jimmy Carter von diesem Sumpfkaninchen angegriffen wurde, war er ganz besessen. Er hörte gar nicht wieder auf.»
    «Mit wem war er zusammen?»
    «Mit irgendeiner Mindy. Aber dann haben sie Schluss gemacht. Und da ging es mit seinen Anrufen erst
richtig
los. Mindestens sechsmal am Tag hat er mich angerufen. Und alles kreiste darum, wie gut Mindy roch. Sie hatte offenbar so einen Geruch, der genau zu Leonard passte,
chemisch
. Er fürchtete, nie wieder ein Mädchen zu finden, das so genau richtig für ihn riecht. Ich sagte ihm, wahrscheinlich sei es ihre Feuchtigkeitscreme. Er sagte nein, es sei ihre
Haut
. Die sei
chemisch perfekt.
Das ist Leonard, so ist er.» Sie legte eine Pause ein und sah Madeleine forschend an. «Warum fragst du? Magst du ihn?»
    «Ich kenne ihn nur aus dem Seminar», sagte Madeleine.
    «Soll ich ihn zu uns zum Essen einladen?»
    «Das habe ich nicht gesagt.»
    «Ich lade ihn zum Essen ein», sagte Abby.
    Das Essen hatte Dienstagabend stattgefunden, drei Tage zuvor. Leonard war höflich mit einem Gastgeschenk gekommen, einem Satz Geschirrtücher. Er hatte sich feingemacht, weißes Hemd, schmaler Schlips, sein langes Haar zu einem männlichen Pferdeschwanz gebunden, wie ein schottischer Krieger. Als er Abby begrüßte, ihr das eingewickelte Geschenk überreichte und sich für die Einladung bedankte, tat er das mit rührendem Ernst.
    Madeleine versuchte, nicht übereifrig zu erscheinen. Während des Essens konzentrierte sie sich auf Brian Weeger, dessen Atem nach Hundefutter roch. Ein paarmal, wenn sie zu Leonard hinüberschaute, starrte er bohrend, fast empört zurück. Später, als Madeleine zum Abspülen in der Küche war, kam Leonard herein. Sie wandte den Kopf und sah ihn einen kleinen Knubbel an der Wand inspizieren.
    «Das muss eine alte Gasleitung sein», sagte er.
    Madeleine schaute sich den x-fach überstrichenen Knubbel an.
    «Früher hatten sie Gaslampen in so alten Häusern», fuhr Leonard fort. «Vermutlich haben sie das Gas aus dem Keller hochgepumpt. Wenn bei irgendwem, egal in welchem Stock, die Zündflamme ausgepustet wurde, hatte man ein Leck. Und Gas war damals noch geruchlos. Methylmercaptan wurde erst später zugesetzt.»
    «Gut zu wissen», sagte Madeleine.
    «Hier muss es wie auf einem Pulverfass gewesen sein.» Leonard tippte mit dem Fingernagel an das vorspringende Ding, drehte sich um und sah Madeleine bedeutungsvoll ins Gesicht. «Ich war nicht mehr im Seminar», sagte er.
    «Ich weiß.»
    Leonards Kopf war hoch über ihr, aber dann beugte er sich mit dem friedlichen Gestus eines Blätterfressers zu ihr herab und sagte: «Es ging mir nicht so gut.»
    «Warst du krank?»
    «Ist schon wieder besser.»
    Im Wohnzimmer rief Olivia: «Wer mag einen Cognac? Delamain, echt lecker!»
    «Ich will einen», meldete sich Brian Weeger. «Das Zeug ist spitze.»
    Leonard sagte: «Sind die Geschirrtücher okay?»
    «Was?»
    «Die Geschirrtücher. Ich hab welche mitgebracht.»
    «O ja, die sind prima», sagte Madeleine. «Genau richtig. Die können wir gut gebrauchen! Danke.»
    «Ich hätte ja Wein oder Scotch mitgebracht, aber das wäre das, was mein Vater machen würde.»
    «Und du willst nichts so machen wie dein Vater?»
    Leonards Gesicht und Stimme behielten ihren feierlichen Ausdruck bei, als er sagte: «Mein Vater ist ein Depressiver, der sich mit Alkohol selbst medikamentiert. Meine Mutter ist ungefähr genauso drauf.»
    «Wo leben sie?»
    «Sie sind geschieden. Meine Mutter wohnt noch in Portland, wo ich

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