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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sich, um selbst im Kühlschrank nachzusehen, und sagte angewidert: «Wahnsinn,
alles
nur Bier.»
    Wieder aufrecht, blickte sie sich gebieterisch im Raum um, bis sie Pookie Ames entdeckte und über den Lärm hinweg nach ihr rief.
    Pookie, die sich sonst immer ein afghanisches Tuch um den Kopf gewickelt hatte, trug an diesem Abend ein schwarzes Samtkleid und Diamantohrringe, mit denen sie sich absolut wohlzufühlen schien. «Pookie, rette uns», sagte Olivia. «Bier geht nicht, das können wir nicht trinken.»
    «Keine Sorge, Süße», sagte Pookie, «es gibt Veuve Clicquot!»
    «Und wo?»
    «Im Gemüsefach.»
    «Phantastisch!» Olivia zog das Schubfach heraus und fand die Flasche. «Jetzt können wir feiern!»
    Madeleine war keine große Trinkerin. Aber ihr Zustand an diesem Abend verlangte nach bewährten Hausmitteln. Sie zog einen Plastikbecher vom Stapel und genehmigte Olivia, ihn zu füllen.
    «Lass dir dein Grolsch schmecken», sagte Olivia zu dem Typen.
    Zu Abby und Madeleine sagte sie: «Ich nehme die Flasche mit», und setzte sich in Bewegung.
    Vorsichtig schleusten sie ihre vollen Champagnerbecher durchs Gedränge zurück.
    Im Wohnzimmer wollte Abby anstoßen. «Also, Mädels? Auf unser Zusammenleben: Es war ein tolles Jahr!»
    Die Plastikbecher klirrten nicht, sie knickten nur ein.
    Inzwischen war Madeleine ziemlich überzeugt, dass Leonard nicht auf der Party war. Aber der Gedanke, er könnte sonst wo, auf einer anderen Abschlussparty sein, bohrte ein Loch in ihre Brust. Sie war sich nicht sicher, ob Lebenssäfte ausströmten oder Gift hineingepumpt wurde.
    An der Wand neben ihr kniete ein Halloween-Gerippe vor einer lebensgroßen Ronald-Reagan-Pappfigur, als würde es ihm einen blasen. Auf das strahlende Gesicht des Präsidenten hatte jemand «Ich hab ’n Steifen!» gekritzelt.
    In diesem Moment wechselte, kaleidoskopisch, das Tanzflächenbild, denn jetzt waren es Lollie Ames und Jenny Crispin, die tanzten. Die beiden zogen eine Show ab, rieben die Hüften aneinander und befummelten sich gegenseitig, aber sie lachten auch und ließen einen Joint wandern.
    Gleich daneben streifte sich Marc Wheeland, dem jetzt endgültig «zu heiß» war, sein T-Shirt über den Kopf und steckte es sich hinten in die Hosentasche. Mit nacktem Oberkörper tanzte er weiter, gab den Schönling, den Bankdrücker, den Liebesmuskel. Die Mädchen um ihn tanzten enger.
    Seit ihrer Trennung von Leonard wurde Madeleine beinahe stündlich von den dringendsten sexuellen Bedürfnissen geplagt. Sie wollte es die ganze Zeit. Aber Wheelands glänzende Männerbrust ließ sie kalt. Ihre Begierden waren unübertragbar. Sie trugen Leonards Namen.
    Madeleine hatte ihr Bestes getan, keinen Jammerlappen abzugeben. Unglücklicherweise begann jetzt ihr Inneres, sie zu verraten. Ihre Augen quollen über. Das saugende Gefühlsloch wurde größer. Schnell stieg sie die Treppe hinauf, suchte das Bad und schloss die Tür hinter sich ab.
    Die nächsten fünf Minuten weinte sie über dem Waschbecken, während die Musik die Wände wackeln ließ. Die Handtücher, die an der Tür hingen, sahen nicht sauber aus,und so tupfte sie sich die Augen mit zusammengeknülltem Klopapier ab.
    Als sie aufgehört hatte zu weinen, sammelte Madeleine sich vor dem Spiegel. Ihre Haut war fleckig. Ihre Brüste, auf die sie eigentlich stolz war, hatten sich wie deprimiert in sich selbst zurückgezogen. Madeleine wusste, dass sie mit dieser Selbsteinschätzung etwas danebenliegen konnte. Ein verletztes Ego spiegelte sich wider. Die Möglichkeit, dass sie nicht ganz so beschissen aussah, wie es schien, war das Einzige, was sie dazu brachte, die Tür aufzuschließen und das Bad zu verlassen.
    In einem Zimmer am Ende des Flurs lagen zwei Mädchen mit Pferdeschwänzen und Perlenketten quer über dem Bett. Als Madeleine eintrat, schenkten sie ihr keine Beachtung.
    «Ich dachte, du hasst mich», sagte das eine Mädchen zu dem anderen. «Die ganze Zeit seit Bologna habe ich gedacht, dass du mich hasst.»
    «Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich dich nicht hasse», sagte die andere.
    In den Bücherregalen standen der übliche Kafka, der obligatorische Borges, der Punkte versprechende Musil. Gleich dahinter lockte ein kleiner Balkon. Madeleine trat ins Freie.
    Der Regen hatte ausgesetzt. Es gab keinen Mondschein, nur das Glühen der Straßenlaternen, krankhaft violett. Ein kaputter Küchenstuhl stand vor einem umgestülpten Mülleimer, der als Tisch diente. Auf dem Mülleimer lag, neben

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