Die Liebeshandlung
egal, wie wütend es ihn machte, dass Larry die Party zur Erfüllung seiner Prüfungsaufgaben zweckentfremdet hatte (obwohl er hätte misstrauisch werden müssen, als sogar die Kunstprofessorin auf der Bildfläche erschien) – wusste Mitchell schon später am Abend, nachdem die Gäste gegangen waren, ja schon während er Larry, der sich über die Balkonbrüstung erbrach, mit «nur zu! Kotz dir die Seele aus dem Leib! Du hast es verdient!» angeschrien hatte, dass er ihm verzeihen würde, ihre Wohnung und die Party in eine schlechte Kunstperformance verwandelt zu haben. Larry war sein bester Freund, sie wollten zusammen nach Indien, und Mitchell hatte keine Wahl.
Jetzt betrat er die Wohnung, steuerte geradewegs auf Larrys Zimmer zu und riss die Tür auf.
Auf einer Futonmatratze, das Gesicht halb verborgen in einem Busch Garfunkel-Haar, lag Larry auf der Seite, und sein dünner Körper bildete ein Z. Er sah aus wie eine Gestalt aus Pompeji, jemand, der sich in einer Ecke zusammengerollthatte, während Lava und Asche durchs Fenster strömten. Über seinem Kopf, mit Reißzwecken an die Wand geheftet, hingen zwei Fotos von Antonin Artaud. Auf dem linken war der Dramatiker jung und unglaublich schön. Auf dem anderen, knapp zehn Jahre später aufgenommen, sah er aus wie ein ausgezehrter Irrer. Es waren die Geschwindigkeit und Totalität von Artauds körperlichem und geistigem Zerfall, die Larry faszinierten.
«Steh auf», sagte Mitchell.
Als Larry nicht reagierte, nahm Mitchell ein Samuel-French-Drehbuch vom Fußboden und schleuderte es ihm an den Kopf.
Larry stöhnte und rollte sich auf den Rücken. Seine Augen flatterten auf, aber er schien es nicht eilig zu haben, wieder zu sich zu kommen. «Wie viel Uhr ist es?»
«Spät. Wir müssen los.»
Es dauerte eine Ewigkeit, bis Larry sich aufsetzte. Er war einer von der kleineren Sorte, mit einem etwas kobold- oder faunartigen Gesicht, das, je nach Lichteinfall oder der Dauer der letzten Party, entweder an die hohen Wangenknochen von Rudolf Nurejew oder die hohlwangige Figur auf Munchs
Der Schrei
erinnerte. Im Moment war es irgendwo dazwischen.
«Hast gestern Abend eine gute Party verpasst», sagte er.
Mitchell war wie versteinert. «Ich hab mit Partys abgeschlossen.»
«Na, na, Mitchell, übertreib mal nicht. Willst du so etwa auf unserer Reise sein? Ein Langweiler?»
«Ich habe eben Madeleine gesehen», sagte Mitchell mit Nachdruck. «Sie hat beschlossen, wieder mit mir zu sprechen. Aber dann habe ich etwas gesagt, was ihr nicht passte, und schon ist es wieder aus.»
«Gut gemacht.»
«Immerhin, von Bankhead hat sie sich getrennt.»
«Ich weiß», sagte Larry.
In Mitchells Kopf schrillte eine Alarmglocke. «Woher?», fragte er.
«Weil sie die Party gestern Abend mit Thurston Meems verlassen hat. Sie war auf der
Pirsch
, Mitchell. Ich hatte dir ja gesagt, du sollst mitkommen. Zu schade, dass du mit Partys abgeschlossen hast.»
Mitchell richtete sich auf, um die Wucht dieser Enthüllung abzuwehren. Larry wusste natürlich, wie besessen Mitchell von Madeleine war. Er hatte ihn ihre Tugenden in den Himmel heben und ihre fragwürdigeren Eigenschaften verteidigen oder kleinreden hören. Mitchell hatte Larry, wie man es nur einem wahren Freund gegenüber tut, in das ganze Ausmaß seiner verrückten, Madeleine betreffenden Hirngespinste eingeweiht. Trotzdem, Mitchell hatte seinen Stolz und ließ sich nichts anmerken. «Mach, dass du deinen Arsch hochkriegst», sagte er, indem er sich auf den Flur zurückzog. «Ich will nicht zu spät kommen.»
In seinem Zimmer schloss Mitchell die Tür und setzte sich mit hängendem Kopf auf seinen Schreibtischstuhl. Gewisse, bis dahin unleserliche Details vom Morgen offenbarten langsam, wie Himmelsschrift, ihre Bedeutung. Madeleines zerzaustes Haar. Ihr Kater.
Plötzlich, wild entschlossen, wirbelte er herum und riss den Deckel vom Karton, der auf seinem Tisch stand. Darin lag seine Robe. Im Aufstehen nahm er sie heraus und zog sich den schimmernden Acrylstoff über Kopf und Schultern. Quaste, Jahrgangsnadel und der schwarze Hut waren in separate Plastikfolien eingeschweißt. Nachdem er diese abgerissen und die Quaste so gründlich in den Hut geschraubt hatte,dass er eine Delle bekam, entfaltete er den quadratischen Aufsatz der Kappe und setzte sie sich auf den Kopf.
Er hörte Larry in die Küche tappen. «Mitchell», rief Larry, «soll ich einen Joint mitnehmen?»
Ohne zu antworten, trat Mitchell vor den Spiegel an der
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