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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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verbündeten – die Rezession, sein brotloser Bachelorabschlussund, an diesem Morgen, auch noch die neue Abfuhr von Madeleine   –, war die Reise das Einzige, worauf er sich freuen konnte. Jetzt, während er zu seiner Wohnung zurückging, um sich für die Eröffnungsprozession umzuziehen, sagte Mitchell sich, es sei egal, was Madeleine von ihm denke. Er sei bald nicht mehr da.
    Seine Wohnung in der Bowen Street war nur zwei Blocks von Madeleines sehr viel schönerem Gebäude entfernt. Er und Larry bewohnten den ersten Stock eines alten Mietshauses mit Schindeldach. Fünf Minuten später stieg er die Eingangstreppe hinauf.
    Mitchell und Larry hatten den Entschluss, nach Indien zu fahren, eines Abends nach einem Film von Satyajit Ray gefasst. Damals war es nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Aber von da an sagten sie immer, wenn irgendjemand fragte, was sie nach dem Abschluss machen wollten: «Wir fahren nach Indien!» Die Reaktion ihrer Freunde war allseits positiv. Niemand wartete mit Gründen auf, weshalb sie nicht nach Indien fahren sollten. Die meisten sagten, sie wünschten sich, sie könnten mit. Das Ergebnis war, dass Mitchell und Larry, ohne sich auch nur Flugtickets oder einen Reiseführer gekauft zu haben – ohne überhaupt etwas über Indien wirklich zu wissen   –, in zunehmendem Maße als beneidenswerte, mutige Freidenker angesehen wurden. Und so beschlossen sie am Ende, dass sie tatsächlich fahren sollten.
    Langsam, aber sicher war die Reise in den Blickpunkt gerückt. Sie hängten eine Europa-Etappe dran. Im März hatte Larry, der im Hauptfach Theaterwissenschaft studierte, die Sache mit der Forschungsassistenz bei Professor Hughes organisiert, was ihrem Unternehmen einen professionellen Glanz verlieh und die Eltern beschwichtigte. Sie hatten sicheine große gelbe Karte von Indien gekauft und sie in der Küche an die Wand gepinnt.
    Das Einzige, was ihre Pläne beinahe zum Entgleisen gebracht hätte, war die «Party», die sie ein paar Wochen zuvor während der vorlesungsfreien Zeit vor ihren letzten Prüfungen gegeben hatten. Es war Larrys Idee gewesen. Was Mitchell jedoch nicht wusste, war, dass die Party keine richtige Party war, sondern Larrys Abschlussprojekt für den Studio-Art-Kurs, den sie gerade machten. Larry, so stellte sich heraus, hatte bestimmte Gäste als «Schauspieler gecastet» und ihnen Regieanweisungen für ihr Verhalten auf der Party gegeben. Die meisten dieser Anweisungen liefen darauf hinaus, die nichtsahnenden Gäste zu beleidigen, anzubaggern oder sonst wie aus der Fassung zu bringen. In der ersten Stunde der Party führte das dazu, dass niemand sich wohlfühlte. Freunde tauchten auf und sagten, sie hätten einem eigentlich noch nie über den Weg getraut, man habe schon immer Mundgeruch gehabt et cetera. Um Mitternacht stürmten die Nachbarn von unten, ein verheiratetes Paar namens Ted und Susan (lächerlich verkleidet, wie Mitchell rückblickend fand, in Frotteebademänteln und Plüschpantoffeln, Susan mit Wicklern in den Haaren), ärgerlich zur Tür herein und drohten damit, die Bullen zu rufen wegen der lauten Musik. Mitchell versuchte sie zu beruhigen. Aber Dave Hayek, der eins dreiundneunzig und in den Jux eingeweiht war, stapfte durch die Küche und ging bedrohlich auf die Nachbarn los. Worauf Ted eine (Spielzeug-)Pistole aus seiner Bademanteltasche zog und Hayek, der flehend am Boden kauerte, erschießen wollte, während ringsum jeder vor Angst erstarrte oder, nach allen Seiten Bier verschüttend, zu den Türen rannte. An diesem Punkt ließ Larry die Lichter angehen, kletterte auf einen Stuhl und erklärte der ganzenGesellschaft, haha, nichts von alledem sei wirklich. Ted und Susan legten ihre Bademäntel ab und brachten Straßenkleidung zum Vorschein. Jedem, der es sehen wollte, zeigte Ted, dass seine Pistole eine Wasserpistole war. Mitchell konnte es nicht fassen, dass Larry ihm, dem Mitgastgeber der Party, nichts von seinen heimlichen Plänen verraten hatte. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Carlita Jones, eine sechsunddreißigjährige Doktorandin, nur dem «Script» gefolgt war, als sie sich, früher am Abend, mit Mitchell in einem Zimmer eingeschlossen und gesagt hatte: «Komm schon, Mitchell. Vögeln wir doch einfach. Gleich hier auf dem Fußboden.» Es hatte ihn nicht schlecht erstaunt, dass Sex, wenn er (wie so oft in seiner Phantasie) derart offen angeboten wurde, in Wirklichkeit nicht nur unerwünscht, sondern zum Fürchten war. Aber trotz alledem –

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