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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Mitchell.
    «Ihr Nachname ist griechisch. Sind Sie christlich-orthodox erzogen?»
    «Getauft. Mehr aber auch nicht.»
    «Und jetzt?»
    «Jetzt?» Mitchell brauchte einen Augenblick. Er war es gewohnt, seine spirituellen Erkundungen für sich zu behalten. Es kam ihm seltsam vor, darüber zu sprechen.
    Aber Richters Ausdruck war unvoreingenommen. Er saß vorgebeugt auf seinem Stuhl, die verschränkten Hände lagen vor ihm auf dem Tisch. Er schaute weg, bot nur sein Ohr dar. Derart ermutigt, öffnete Mitchell sich. Er erklärte, er sei ans College gekommen, ohne viel über Religion zu wissen, und habe erst beim Lesen englischer Literatur allmählich das ganze Ausmaß seiner Ignoranz begriffen. Die Welt sei von Glaubensvorstellungen geprägt, über die er rein gar nichts gewusst habe. «Das war der Anfang», sagte er, «dass mir klarwurde, wie dumm ich war.»
    «Ja, ja.» Richter nickte nachdrücklich. Sein Kopfbeugen deutete auf eigene Erfahrungen mit Zuständen quälenden Nachdenkens hin. Sein Kopf blieb gesenkt, er war ganz Ohr.
    «Ich weiß nicht, jedenfalls saß ich eines Tages einfach da», fuhr Mitchell fort, «und es durchfuhr mich wie ein Blitz, dass beinahe jeder Schriftsteller, den ich für meine Kurse las,an Gott geglaubt hatte. Milton zunächst mal. Und George Herbert.» Kannte Professor Richter George Herbert? Richter kannte ihn. «Und Tolstoi auch. Ich weiß, Tolstoi war ein wenig exzessiv am Ende.
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zu verwerfen! Aber wenden sich nicht viele Schriftsteller gegen ihr eigenes Genie? Vielleicht war es vor allem Tolstois Wahrheitsdrang, der ihn so groß werden ließ. Die Bereitschaft, seine Kunst an den Nagel zu hängen, hat ihn zum großen Künstler gemacht.»
    Wieder ein Geräusch der Zustimmung von der grauen Eminenz oberhalb der Schreibunterlage. Das Wetter, die Welt da draußen, hatten einen Augenblick aufgehört zu existieren.
    «Also habe ich mir im letzten Sommer eine Leseliste verordnet», sagte Mitchell. «Ich las viel von Thomas Merton. Merton brachte mich auf Johannes vom Kreuz, und Johannes vom Kreuz brachte mich auf Meister Eckhart und die
Nachfolge Christi
. Im Augenblick lese ich
Die Wolke des Nichtwissens.
»
    Richter wartete einen Moment lang, bevor er fragte: «War Ihre Suche rein intellektuell?»
    «Nicht nur», sagte Mitchell. Er zögerte und gestand dann:
    «Ich bin auch in die Kirche gegangen.»
    «In welche?»
    «Was immer Sie wollen.» Mitchell lächelte. «Quer durch die Bank. Aber meistens katholische.»
    «Ich verstehe die Anziehungskraft des Katholizismus», sagte Richter. «Aber wenn ich mich in Luthers Zeit zurückversetze und die damaligen Exzesse der Kirche bedenke, glaube ich, dass ich mich wohl auf die Seite der Schismatiker geschlagen hätte.»
    In Richters Gesicht sah Mitchell jetzt die Antwort auf die Frage, die ihn das ganze Semester umgetrieben hatte. Nachkurzem Zögern fragte er: «Dann glauben Sie also an Gott, Professor Richter?»
    In festem Ton präzisierte Richter: «Ich bin ein christlicher Gläubiger.»
    Mitchell wusste nicht genau, was das bedeuten sollte. Aber er kannte den Grund für Richters Haarspalterei. Die Bezeichnung gab ihm Spielraum für Vorbehalte und Zweifel, historische Einschränkungen und Widerspruch.
    «Ich hatte keine Ahnung», sagte Mitchell. «Im Seminar hätte ich nicht sagen können, ob Sie an irgendetwas glauben oder nicht.»
    «So wird das Spiel gespielt.»
    Sie saßen beisammen, tranken in kleinen Schlucken ihren Eiskaffee. Und Richter machte sein Angebot.
    «Ich glaube, und Sie sollten es wissen, dass Sie das Zeug dazu haben, im Bereich der zeitgenössischen christlichen Theologie etwas Wesentliches zu leisten. Sofern Sie überhaupt dahin tendieren, würde ich dafür sorgen, dass Sie ein Vollstipendium fürs Priesterseminar in Princeton bekommen. Oder für Havard oder die Yale Divinity School, falls es Ihnen lieber ist. Ich setze mich selten so nachdrücklich für Studenten ein, aber in diesem Fall sehe ich mich dazu veranlasst.»
    Mitchell hatte nie daran gedacht, an die Divinity School zu gehen. Aber die Vorstellung, Theologie zu studieren – oder, im Gegensatz zu einem geregelten Arbeitstag,
irgendetwas
zu studieren   –, reizte ihn. Und so hatte er Richter gesagt, er werde es sich ernsthaft überlegen. Erst einmal sei er auf Reisen, ein Jahr weg. Er versprach, Richter nach seiner Rückkehr zu schreiben und ihm zu sagen, wie er sich entschieden habe.
     
    Angesichts all der Schwierigkeiten, die sich gegen Mitchell

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