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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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mich liebst? Erinnerst du dich daran? Du konntest das sagen, weil du von Grund auf ein gesunder Mensch bist, der in einer liebenden, gesunden Familie groß geworden ist. Du konntest so ein Risiko eingehen. Aber in
meiner
Familie haben wir uns nicht gesagt, dass wir uns lieben. Bei uns zu Hause haben wir uns angeschrien. Also was mache ich, wenn du mir sagst, dass du mich liebst? Ich unterminiere es. Ich weise es zurück, indem ich dir Roland Barthes ins Gesicht schleudere.»
    Eine Depression verunstaltet nicht zwangsläufig. Nur die Art und Weise, wie Leonard seine Lippen bewegte, wie er daran saugte und gelegentlich hineinbiss, deutete darauf hin, dass er irgendwelche Medikamente nahm.
    «Und dann hast du mich verlassen», fuhr er fort. «Bist zur Tür raus und hattest recht damit, Madeleine.» Jetzt sah Leonard sie an, sein Gesicht war voller Bedauern. «Ich bin ein Wrack», sagte er.
    «Bist du nicht.»
    «Als du weg warst, habe ich mich aufs Bett gelegt und bin eine Woche lang nicht mehr aufgestanden. Ich lag einfach nur da und fragte mich, wie ich die beste Chance, die ich je im Leben hatte, glücklich zu sein, derart sabotieren konnte. Die beste Chance, mit jemandem zusammen zu sein, der klug, schön und gesund ist. Die Sorte Mensch, mit dem ich mich zusammentun könnte.» Er beugte sich vor und sah Madeleine intensiv in die Augen. «Es tut mir leid», sagte er. «Es tut mir leid, die Sorte Mensch zu sein, der so was tut.»
    «Mach dir darum jetzt keine Sorgen», sagte Madeleine. «Du musst dich darauf konzentrieren, dass es dir bessergeht.»
    Leonard blinzelte dreimal schnell hintereinander. «Sie behalten mich mindestens noch eine Woche hier», sagte er. «Und die Zeremonie habe ich auch verpasst.»
    «Du wärst sowieso nicht hingegangen.»
    Hier lächelte Leonard zum ersten Mal. «Wahrscheinlich hast du recht. Wie war’s?»
    «Keine Ahnung», sagte Madeleine. «Sie ist gerade im Gange.»
    «Jetzt gerade?» Leonard warf einen Blick aus dem Fenster, als wollte er sich vergewissern. «Du lässt sie sausen?»
    Madeleine nickte. «Mir war nicht danach.»
    Die müßig um die Tische kreisende Frau im Bademantel peilte Madeleine plötzlich an. Leonard sagte im Flüsterton: «Pass auf, die da. In null Komma nichts kann sie auf dich losgehen.»
    Die Frau kam näher und blieb stehen. Leicht in die Knie gehend, taxierte sie Madeleine.
    «Was bist’n du für eine?»
    «Was ich für eine bin?»
    «Woher kommen deine Leute?»
    «Aus England», sagte Madeleine. «Ursprünglich.»
    «Du siehst aus wie Candice Bergen.»
    Grinsend warf sie den Kopf zu Leonard herum: «Und du bist 007!»
    «Sean Connery», sagte Leonard. «Das bin ich.»
    «So siehst du aus, ein zur Hölle gefahrener 007», sagte die Frau. Ihr Ton hatte etwas Schneidendes. Leonard und Madeleine gingen auf Nummer sicher und sagten nichts, bis sie sich wieder entfernte.
    Die Frau im Bademantel gehörte hierher. Leonard, nach Madeleines Meinung, nicht. Er war nur wegen seiner Intensität hier. Hätte sie von Anfang an von seiner manischdepressivenStörung, seiner kaputten Familie, seinen Therapieerfahrungen gewusst, hätte Madeleine sich niemals erlaubt, sich emotional derart zu verstricken. Aber emotional verstrickt, wie sie es jetzt nun einmal war, bereute sie nichts. So viel zu empfinden rechtfertigte alles.
    «Wie sieht es mit dem Pilgrim-Lake-Labor aus?», fragte sie.
    «Keine Ahnung.» Leonard schüttelte den Kopf.
    «Wissen sie Bescheid?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Das ist erst im September», sagte Madeleine. «Bis dahin ist noch viel Zeit.»
    Der Fernseher dröhnte niet- und nagelfest an seinen Ketten. Leonard saugte auf diese seltsame neue Weise an seiner Oberlippe.
    Madeleine nahm seine Hand.
    «Ich bleibe dabei, ich werde mit dir gehen, wenn du willst», sagte sie.
    «Wirklich?»
    «Du kannst deine Collegesachen hier drinnen zu Ende bringen. Wir können den Sommer über in Providence bleiben und im September nach Pilgrim Lake ziehen.»
    Leonard schwieg, nahm das langsam in sich auf.
    Madeleine fragte: «Meinst du, du schaffst das? Oder wäre es besser, wenn du einfach eine Weile Pause machst?»
    «Ich glaube, ich schaffe es», sagte Leonard. «Ich will unbedingt wieder was tun.»
    Sie schwiegen, sahen einander an.
    Leonard beugte sich näher zu ihr hin.
    «Ist das erste Geständnis einmal abgelegt», zitierte er Barthes aus dem Gedächtnis, «besagt
ich liebe dich
nichts mehr.»
    Madeleine runzelte die Stirn. «Willst du wieder damit

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